Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

22. Januar 1915.

Vorgestern fand der Zeppelin-Raid auf Yarmouth statt. Der erste Luftangriff auf England. Fünf Tote und erheblicher Materialschaden. Die Toten sind natürlich Nichtkämpfer. Ob dieser Raid nur der Anfang war oder eine Höchstleistung, wird die Zukunft ergeben. In jedem Fall ist der Luftkrieg ein Kampf gegen die bürgerliche Bevölkerung. Der Protest Deutschlands, dass das englische Blockadesystem unzulässig sei, weil es auf die Aushungerung der Zivilbevölkerung abzielt, verliert an Kraft, wenn Zeppeline und Aeroplane nächtlicherweile Frauen und Kinder durch Bomben töten.

Im Sundgau ist starke Bewegung. Man spricht hier — nicht ohne Sorge — von einer grossen Schlacht im Raume von Belfort.

Überhaupt hat es den Anschein, als ob es allenthalben einer starken Krisis zustreben würde. Die Bewegung der Rumänen erscheint verdächtig. Der österreichische Thronfolger und der neue österreichisch-ungarische Minister des Äussern Baron Burian befinden sich im deutschen Hauptquartier. Graf Wedel ist als ausserordentlicher Gesandter Kaiser Wilhelms nach Wien gereist. Der «Daily Chronicle» brachte eine anscheinend offiziöse Nachricht, in der gesagt wurde, dass man nach der Räumung Belgiens durch Deutschland die Grundlage für einen ehrenvollen Frieden finden würde. Es scheint das natürliche Bestreben zur Wiederherstellung geordneter Zustände zu erwachen. Nur jetzt keine Entscheidungen, die der einen oder der andern Macht grosse Vorteile brächten. Dann wäre die Aussicht auf Frieden wieder auf lange hinaus gestört.