Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Mürren, 22. August.

Staatssekretär Helfferich hat im Reichstag die dritte Kriegsanleihe vertreten und dabei interessante Mitteilungen über die Kosten dieses Kriegs gemacht. Nach ihm sind die Ausgaben eines einzigen Monates um ein Drittel höher als die Gesamtausgaben des Kriegs von 1870. Danach in zwölf Monaten 16 mal grösser! Wie die Kriegführung früher nicht Geahntes zeitigte, so wird wohl auch die künftige Liquidierung des Kriegs Überraschungen hervorbringen, von denen man jetzt noch keine Ahnung hat. Man wird dann ruhiger die Erscheinungen prüfen, als dies jetzt während des Kriegs möglich ist, und über die Zulässigkeit von Kriegen vielleicht zu andern Ideen kommen. Helfferich gibt sich den rosigsten Hoffnungen hin. Er sagte: «Unsere wirtschaftliche Zukunft muss von der ungeheuren Bürde, die der Krieg anwachsen lässt, entlastet werden. Das Bleigewicht der Milliarden mögen die Anstifter des Kriegs durch die Jahrzehnte schleppen, nicht wir!» Der Staatssekretär rechnet also mit einer grossen Kriegsentschädigung. Diese Hoffnung dürfte sich als irrig erweisen. Aber auch die Ansicht, dass, wenn eine solche erreicht würde, die andern allein das Bleigewicht der Milliarden durch die Jahrzehnte schleppen würden, ist irrig. In der engen Gesellschaft der Kulturstaaten leidet jeder Staat an den Lasten des andern. Deutschlands Abnehmer werden unter diesen Lasten weniger verbrauchsfähig sein als früher. Deutschland wird daher auch unter der Verarmung der andern leiden. Darüber helfen schöne Reden nicht hinweg.

Die täglichen Kriegskosten für sämtliche beteiligten Mächte gibt Helfferich mit nahezu 300 Millionen Mark an. Die monatlichen übersteigen acht Milliarden. Wieviel Glück könnte man mit diesen unvorstellbaren Summen schaffen und wieviel bodenloses Unglück wird durch sie erzeugt! Menschen, die angesichts dieser Tatsachen nicht für die Beseitigung des Kriegs eintreten, sind gehirnkrank.

Mittlerweile bröckelt der russische Zarismus durch die Vorstösse des deutschen Heeres wie morsches Mauerwerk zusammen. Kowno, Nowogeorgiewsk mit grossen Massen Gefangenen gefallen. Der Fall von Brest-Litowsks eine Frage von Tagen. Russland wird aus Europa zurückgedrängt. Man spricht von der Wiederherstellung Polens. Welch sonderbare Entwicklung der Geschichte. Preussen-Deutschland als der von den Polen so verhasste Entrechter ihres nationalen Lebens wird zu ihrem Befreier und Wiederhersteller. Der Reichskanzler sprach von der Freiheitsmission des Reichs. Das scheint mir ein gutes Omen für Belgien zu sein.