Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 4. April.

Dem Vertreter des «Az Est» hat der deutsche Kriegsminister v. Stein (am 24. März ungefähr) über die Teilnahme Amerikas am Krieg Folgendes gesagt:

«Jetzt können wir endlich frei über die Frage reden. Was vermag Amerika mehr für unsere Feinde zu tun, als es bis jetzt getan hat? Ob es die Flotte der Alliierten unterstützen wird, weiß ich nicht, und von einer Landarmee kann in naher Zukunft keine Rede sein. Amerika verursacht mir keine Sorgen».

Dieses Wort muss festgehalten werden. Es erhält seine eigenartige Beleuchtung durch die gestrige Wilson-Botschaft vor dem Kongress, die im Auszug heute vorliegt. Es wird Millionen Deutsche geben, denen der Krieg Amerikas gegen Deutschland, der nun feststeht, tiefe und schwere Sorgen bereitet. Sorgen deshalb, weil es ihnen nicht gleichgültig ist, dass sich geschlossen eine ganze Welt gegen ihr Vaterland kehrt, dass auf dem Kriegsbanner der Gegner dieses Vaterlands die Ziele der Weltordnung, des Weltrechts, der Friedenssicherheit und Menschlichkeit geschrieben stehen. Sorgen aber auch deshalb, weil wiederum unersetzliche Arbeit von Generationen Deutscher, weil wieder ungeheure Werte, das Glück und der Wohlstand so vieler Familien verloren gehen. Für jeden, der es ehrlich meint mit dem deutschen Volk, für den muss dieser Tag, an dem ein Staat mit Deutschland in den Krieg tritt, der wie kein andrer durch deutschen Geist und deutsche Arbeit gestützt ist, der für Millionen Deutsche ein zweites Vaterland geworden ist, ein Tag tiefster Trauer und schwerster Sorge sein, einerlei ob dabei von der Wirkung der Flotte oder der Landarmee die Rede sein kann. Es gibt höhere Gewalten in der Welt als die der Kanonen und Gewehre, es gibt moralische Gewalten von ungeheurer Macht und diese sind nun — rund um die Erde — gegen das deutsche Volk gerichtet.

Die Botschaft Wilsons erklärt zwar, dass die Vereinigten Staaten nicht gegen das deutsche Volk, sondern gegen die deutsche Regierung in den Krieg eintreten. Aber die deutsche Regierung ist durch einen Menschenwall umgeben, den das deutsche Volk bildet, und die Unbill des Kriegs wird dieses ins Herz treffen. Es wird dabei gar nicht erfahren, aus welchen Gründen ein neuer Feind gegen Deutschland auftritt. Dass Wilson sein Kriegsziel darin sieht, «die Grundsätze des Friedens und der Gerechtigkeit im Leben der Welt gegen egoistische und autokratische Macht zu verteidigen», dass er sich auf die Seite der Gegner stellt, nunmehr offen, bisher versteckt, weil diese den Gedanken der Volkssouveränität, der Kriegsgegnerschaft, der Weltorganisation vertreten, das wird dem deutschen Volk nicht gesagt, ja, es wird mit aller Kraft verhindert werden, dass solche Gedanken es erreichen. Man wird ihm vielmehr einreden, wie man es ja bereits darzulegen begonnen hat, dass die große Demokratie des Westens, das Land Franklins, Washingtons, Hamiltons, Lincolns, das Mutterland der Friedensidee, das den Rekord der friedlichen Schlichtung zwischenstaatlicher Streitigkeiten aufzuweisen hat, dass dieses Land um schmutziger Geldinteressen willen, aus Eigennutz und Habgier dem Krieg gegen Deutschland sich anschließt. Die Lüge wird zunächst natürlich ihre Wirkung ausüben, sie wird hell lodern und Rauch erzeugen. Aber sie wird eines Tages ausgebrannt sein und besserer Einsicht Platz machen.

Bis dahin, bis das letzte glimmende Aschenhäufchen des Trugs verraucht sein wird, wird man mit Entrüstung die Unterscheidung zurückweisen, die Wilson in seiner Botschaft zwischen deutschem Volk und deutscher Regierung macht. Man wird behaupten, dass dies eine untrennbare Einheit an Geist und Willen ist. Wird man es auch beweisen? Anderes will ja die gewählte Vertretung des deutschen Volks nicht, als dass solches durch die Tat bewiesen werde, durch Änderung jener Verfassungsbestimmungen, die heute noch in mittelalterlicher Weise das deutsche Volk hindern, seinen Willen durch die Regierung zum Ausdruck zu bringen, und eine Regierung zu entlassen, die diesem Willen nicht mehr entspricht. Strafe man doch Wilson Lügen durch die Tat, die just unter dem Freiheitsschein, der aus Russland herüberleuchtet, das deutsche Volk mit Nachdruck und Ungeduld gefordert. So rüste man sich doch in dieser Weise gegen den amerikanischen Krieg, und man wird den Frieden haben, den Frieden mit Amerika und mit der ganzen Welt.

Solange das nicht begriffen wird, solange wird dieser Krieg weiter lodern, wird er immer neue Staaten gegen Deutschland mobil machen, wird das Blut weiter fließen, der Wohlstand verbrennen, die Zukunft schwinden. Es muss endlich weggeworfen werden die militärische Brille, die den Blick verwirrt und ein karikiertes Weltbild zeigt. Diese armseligen Berechnungen der militärischen Seele, die alle Erscheinungen in dieser Welt nur vom Gesichtspunkt des ballistischen Nutzeffekts betrachten, müssen verschwinden und dem freien Blick eines normalen Auges Platz machen. Die Wirkung der Waffen kann ungeheure Vernichtungen noch herbeiführen, den Frieden kann sie nie bewirken. Der wird nur zustande kommen durch die höhere Einsicht, um was dieses Ringen geht, durch die Erkenntnis der Notwendigkeit einer durch den Volkswillen aller Staaten getragenen Friedenssicherheit und Weltordnung.

Solange sich die mitteleuropäische Diplomatie nicht zu dieser Erkenntnis emporgerungen, solange werden ihre Friedensangebote verpuffen, wird ihr ehrlicher Friedenswille taube Ohren finden. Der Friede, der kommen muss, darf nicht nur diesem Krieg ein billiges Ziel setzen, er muss für den Krieg überhaupt ein Ende bringen. Das muss erkannt werden; und das kann nur von den Völkern erkannt werden, die den Krieg erlebt und erduldet haben und nicht von jenen Diplomaten, die an der Wiege dieses Unglücks standen.

Krieg mit Amerika! Die sich heute darob entsetzen, wie mögen sie leichtfertig gelacht haben, als ich im Juni 1914 (wohlgemerkt im Juni, als Franz Ferdinand noch unter den Lebenden weilte), schrieb:

«Die Staaten sind in dieser durch die Technik verengten Welt nicht mehr allein handelsfähig. Wo früher der einzelne Staat mit seinen Gegnern einen Streit auskämpfen konnte, sieht er sich jetzt der Verantwortung gegenüber, einen Weltbrand zu entzünden. Die schönen Zeiten sind für immer vorbei, wo man seine eigenen Kriege geführt hat. Ein jeder, der heute das Machtwort ausspricht, das die Gewaltmittel in Bewegung setzt, verpflichtet die gesamte Staatenfamilie zu diesem Kampf.»

Warum ist das Büchlein 2), das diesen Satz gleich auf der ersten Seite enthält, in Deutschland verboten?

Es ist überhaupt so wichtig, angesichts der immer grösseren Ausdehnung, die der Krieg nimmt, die Gedanken zu dem Anfang zurückkehren zu lassen, zu jenem stolzen Gebaren gewisser Diplomaten, die sich versteckten, um nur nicht mit sich reden lassen zu müssen, die sich als Baispriester des Prestiges, der Grossmachtideen mehr fühlten, denn als bestellte Vertreter der Interessen ihrer Völker.

Es ist wichtig, die Entwicklung des Kriegs gegenüberzustellen den Reden und Schriften der alldeutschen Fanatiker, der Kriegspreiser, der Kriegsinteressenten, der Spekulanten mit Blut und Brand und ihnen jetzt die ernste Mahnung ihres Bismarcks entgegenzuhalten, dass man immer wisse, wo ein Krieg anfängt, aber nie wissen kann, wo er aufhört. Ja, wer weiß das heute?