Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 10. April.

Es ist von keinem der führenden Staatsmänner zu erwarten, dass sie öffentlich Worte sagen, die zum Frieden führen könnten. Der militärische Komment legt jedem Redner die Pflicht auf, nicht den Schein der Schwäche erstehen zu lassen. Unter dem Einfluss dieses Gebots führt jede öffentliche Rede zu erhöhter Verbitterung und zu weiterer Vertiefung der Kriegführung. Die Wenigen, die in den verschiedenen Parlamenten ehrlich den Mut haben, den allgemeinen Friedenswillen zum Ausdruck zu bringen, den Widersinn des Jusqu’auboutismus zu brandmarken, werden unter dem Druck des selben militärischen Komments zu Hochverrätern gestempelt. Aber sie allein sprechen die Wahrheit.

Die Sieges-Allüre ohne Sieg wirkt lächerlich wie eine Karrikatur. Auf keiner Seite steht der Sieg, und auf jeder Seite gefallen sich die Staatsmänner in einer Diktatormiene. Gewiss, sie schulden diese Haltung ihren Völkern, denen sie den Glauben an den Sieg erhalten wollen, jenen Glauben, den sie sich mit so ungeheuren Opfern bezahlen liessen. Aber ein jähes Erwachen wäre für die Völker nützlicher als dieses Weiterdämmern in einer Traumwelt. Ein Friede ohne völlige Vernichtung eines Jeden ist nur durch einen Ausgleich möglich. Dazu können sich natürlich die führenden Staatsmänner nie verstehen, am allerwenigsten jene, die schon zur Zeit des Kriegsbeginns im Amt waren. Sie werden sich doch nicht selbst zu Lügnern stempeln; sie werden die letzten sein, die den Irrtum zugeben werden. So erhebt sich doch die gebieterische Notwendigkeit, dass die Neutralen sich zusammenschliessen und das Geschäft des Friedensschliessens in die Hand nehmen. Zuerst werbend und zuredend; dann aber, wenn es nichts nützen sollte, gebietend. Auch die Neutralen leben noch zu sehr unter dem Einfluss des militärischen Komments. Danach ist es «unschicklich» zweien im Kampf befindlichen Parteien dreinzureden. Aber endlich werden auch sie einsehen müssen, dass die alten Regeln für dieses ganz neue Spiel, das man noch immer «Krieg» nennt, keine Gültigkeit mehr haben können. Hier werden aber die Völker eher ihr Machtwort sprechen dürfen, da sie ja nicht unter der Fuchtel der militärischen Zensur und nicht unter dem Bann des kriegerischen «guten Tons» stehen. Jene Mitleidenden haben noch Rede- und Handelsfreiheit. Sie werden ihre Staatsmänner dahin bringen können, dass sie das heisse Eisen des Kriegsrads mit mutigen Händen und vereinter Kraft angreifen und zum Stillstand bringen. Anders wird es nicht gehen.

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Harden mahnt wieder zum Frieden, zu einem pazifistischen Frieden sogar. («Zukunft» Nr.26). Wer hätte das gedacht! Wenn alle, die diesen Krieg mitverschuldet haben, so dächten wie er, so könnte der Pazifismus jetzt schon triumphieren. Harden ist für Rüstungsverminderung («Nach solchem Erlebnis winkt Hoffnung aus lastendem Panzergehäus»), ist für zwischenstaatliche Organisation («würdigen Frieden wirksam zu organisieren, mit Gemeinbürgschaft und sogar [horchet!] mit Europäerpfandgeld zu sichern, ist Deutschlands noch stummer Wille»), für Vertragtreue («Trotz einem unseligen, doch vielleicht nun verbüssten Zufallswort wollen wir Alle, dass Verträge geachtet, Kleinen wie Grossen verbürgte Rechte niemals wieder [!] gekürzt werden»).

Ja, wenn das der Wille der deutschen Reichsregierung wäre, wenn sie die Kraft hätte, sich mit kräftigem Ruck von allen Kriegsromantikern zu befreien, — morgen hätten wir den Frieden. Das von Harden entwickelte pazifistische Zukunftsprogramm ist das Kriegsziel unserer Gegner. Es sollte nicht unschwer werden, hier mit ihnen zur Einigung zu gelangen, wenn es auch zum Kriegsziel der Zentralmächte würde.