Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 22. August.

Die Rede des Staatssekretärs Solf ist ein Zeichen der Stimmung in Deutschland. Schon der Umstand, dass man einen liberal und versöhnlich gesinnten Mann vorschickt zu einer Beantwortung der Balfourrede, ist ein Beweis, dass die Regierung dem gestürzten Kühlmann in ihrem Innern doch recht gibt in seiner Erklärung, dass man militärisch den Krieg nicht beendigen kann. Aber, was kann es nützen? In allen seinen Widerlegungen Balfours konnte Solf nicht die Tatsache einbekennen, dass der Krieg von Deutschland begonnen wurde, und das neben Solf ein Vertrauensmann der Alldeutschen Staatssekretär des Äußern ist, der ohne Befragung des Reichstags Staatssekretär wurde.

Es ist schwach, was er an Tatsächlichem entgegnen konnte. Selbst die Erklärung über Belgien, die früher einmal eine Tat gewesen wäre, hat jetzt in ihrem Hinweis auf das vom Reichskanzler Gesagte, keine Bedeutung. Die «Faustpfand»-Theorie Hertlings ist damit nicht widerrufen. Hübsch und genial die Erklärung über den Ostfrieden, der nur als Rahmen gedacht sei. Aber wer garantiert dafür, dass in diesen Rahmen nicht die Bilder Heydebrands und Ludendorffs, der Vaterlandspartei und der «Kaisertreuen» eingefügt werden. Es fehlt eben das Vertrauen. Man hätte den Krieg nie soweit kommen lassen dürfen, und das von Solf angewandte Zitat Kants ist bitter, weil es wahr ist. Der Krieg hat zu lange gedauert, ist zu entsetzlich geführt worden, dass noch «Vertrauen auf die Denkungsart des Feindes» hätte übrigbleiben können. Was nützt es, wenn Solf jetzt eine Knock-out-Politik ablehnt. Die Welt weiß, das Deutschland sie nicht durchführen könnte, wenn es wollte, sie weiß aber auch, das Deutschland sie durchgeführt hätte, wenn es gekonnt hätte, und das es alle Anstalten dafür getroffen. Die Schlussworte Solfs sind gewiss schön und edel, und es wäre zu wünschen, dass ein Mann wie er stets an der Spitze der Geschäfte gestanden und sich durchzusetzen die Möglichkeit gehabt hätte. Das Programm der Vermeidung künftiger Kriege, der Herbeiführung einer bessern Welt, ist in der Tat das Menschheitsprogramm. Aber Solf ist das Mitglied einer Regierung, die Stütze eines Systems, dem nicht geglaubt wird. Er ist lediglich berufen, die nicht zustande gekommene Proklamation an das Heer nach der projektierten Einnahme von Paris zu ersetzen. Jetzt versucht man es mit edlen Menschheitszielen. Ehe dieser Versuch Vertrauen in der Welt erringen kann, müssen Menschen und Einrichtungen, müssen ganze Familien von der politischen Tribüne abtreten und die Geister des neuen, aufstrebenden Deutschlands die Führung übernehmen. Dann wird man deutsche Reden über hohe Menschheitsfragen mit Freuden begrüßen und wird den Frieden haben. Eher nicht!