Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Thun, 10. September.

Es ist schändlich, wie die Darlegungen der «Norddeutschen Allgemeinen Zeitung», die die Vorgänge während der anglo-deutschen Verständigungsversuche von 1912 erklären sollen, die Dinge verdrehen. Während es doch für jeden Unbefangenen klar ist, dass England auf die deutschen Vorschläge nicht eingehen wollte, weil es befürchtete, es solle während eines von Deutschland geführten Kontinentalkrieges lahmgelegt werden, wird jetzt dem gutgläubigen Staatsbürger vorerzählt, England habe die deutschen Anerbietungen vor dem Kriegsausbruch zurückgewiesen, «weil es an dem Kampf zur Niederwerfung Deutschlands teilzunehmen wünschte». Die Verdrehung geht weiter. Um ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, England hätte den Frieden ehrlich gewollt, was meine aufrichtige Überzeugung ist, wird zum Handgebrauch des Spiessers gesagt: «Selten hat wohl ein Staatsmann sein Wort so wenig in die Tat umzusetzen vermocht, wie Sir Edward Grey, der stets Verständigung, Abrüstung, Frieden und Konferenzen im Mund geführt, gleichzeitig aber die herausfordernde militärische Politik der Ententemächte verschuldet und gefordert hat, der Europa die Katastrophe verdankt, die jetzt über es hereingebrochen ist.» Hätte man nur dem englischen Konferenzvorschlag Folge geleistet, die Katastrophe wäre niemals hereingebrochen. Die Geschichte wird jene Verständigungsversuche nicht mit jener bornierten Parteilichkeit beurteilen, wie dies der dienstbeflissene Soldschreiber der «Norddeutschen Allgemeinen Zeitung» tut.