Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 31. Oktober.

Eine Mitteilung der «Neuen Zürcher Nachrichten» spricht davon, dass die Zentralmächte den Friedensschluss nicht auf einer allgemeinen Konferenz werden durchführen wollen. Man denkt an Sonderschlüsse von Macht zu Macht, zeitlich zwar möglichst zusammenfallend, örtlich aber hinsichtlich der Verhandlungen getrennt. Diese Nachricht scheint nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Eine ähnliche Bemerkung hat mir kürzlich Baron R. gemacht. Man denkt also nicht an eine Einigung nach dem Kriege, die die Wiederholung dieses Weltzusammenbruches verhindern soll, sondern an die Fortsetzung einer Politik der Teilung, der Herrschsucht, der Feindschaft. Wo sind die Träume von einer Wiederherstellung und Organisierung Europas, wenn solche Absichten Wahrheit werden sollten!

Ich sehe jetzt wieder pessimistisch in die Zukunft. Die Hoffnungen auf ein demokratisches Regime nach dem Krieg zeigen wenig Aussichten. Die siegreiche Militär- und Staatsmacht wird das Leben nach ihren Grundsätzen modeln wollen. Dafür sprechen sehr verschiedene Zeichen. Der Gedanke, für die Erörterungen der Friedensbedingungen den Reichstag zurückzusetzen und ad hoc einen besonderen Reichsrat zu bilden, ist eines dieser Anzeichen. Ein anderes der vom «Vorwärts» veröffentlichte Geheimerlass des preussischen Ministers des Innern über die Errichtung einer Art Zeitungsfabrik zwecks nachhaltiger Beeinflussung der kleinen Provinzpresse. So stellt man sich also die Zukunft vor, das «freie Volk», von dem der Reichskanzler sprach.

In Frankreich wurde von Briand ein neues Ministerium gebildet, dem auch Bourgeois angehört. Ob es Frieden bedeutet oder die Fortsetzung des Krieges «jusqu’au bout» vermag ich nicht zu beurteilen. Wenn Gaston Moch Recht hat, so ist man drüben bereit, den Krieg noch ein, zwei bis zehn Jahre durchzuhalten, und selbst die Mütter, die ihre Söhne an der Front haben, geben ihre Zustimmung dazu. So schrieb er mir. Man will in Frankreich eine Flotte von mehreren tausend Aeroplanen bauen. Schöne Aussichten für den Wettbewerb in der Luft und die Aussichten des Zukunftskrieges, wenn die Bombenvögel zu hunderten sich über die wehrlosen Städte stürzen werden.