Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

3. März (Zürich) 1915.

Es häufen sich die Tage der seelischen Depression. Rückwirkungen des Kriegs, die immer unerträglicher werden. Vor allen Dingen ist es die Unmöglichkeit zu reden, die mich am meisten bedrückt. Schweigen zu müssen, wo man so viel zu sagen hätte, ist eine Qual. Keine Zeitung, in der ich nur halbwegs offen sprechen könnte, steht mir zur Verfügung. Das Erscheinen der «Friedens-Warte» ist durch die Art, wie die Zensur in Berlin geübt wird, erschwert. Die endlich jetzt erschienene Nummer 1/2 von 1915 ist 20 Seiten stark statt 80, die sie normal (für Januar und Februar) hätte haben müssen. Dazu kommt, dass ich mich hier in Zürich, wo ich mich nur vorübergehend aufhalte, nicht sesshaft fühle. Das Bewusstsein des «dépaysiertseins» quält mich. Ich bin von der gewohnten Örtlichkeit meiner Betätigung, von meinen Arbeitsmitteln, meiner Bibliothek, meinem Archiv, meiner Materialsammlung getrennt. Unzählige Pläne gehen mir durch den Kopf, aber es fehlt mir unter den geschilderten Umständen an Sammlung und Ruhe, ganz abgesehen von den technischen Möglichkeiten zu ihrer Ausführung. —

Das sind die Rückwirkungen des Kriegs. Die Erkenntnis, dass es jetzt Hunderttausenden so geht, ist wenig trostreich. Der Krieg streicht aus Aller Leben fruchtbare, unwiedereinbringliche Teile. Nur die Heerführer gewinnen und erhöhen ihren Lebenswert. Wann wird sich dies alles ändern? Es kann noch lange dauern. Meine Hoffnungen, die ich in bezug auf ein herannahendes Ende des Kriegs vor kurzem gehegt habe, zerrinnen.

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