Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

11. Mai (Lugano) 1915.

Die deutsche Rechtfertigung gegenüber der Torpillierung der «Lusitania» ist folgende:

1. Die «Lusitania» wäre armiert gewesen und stand in der Liste der englischen Flotte als Hilfskreuzer.

2. Sie führte in grossen Massen Kriegskontrebande, darunter auch Munition.

3. Die Passagiere seien vorher gewarnt worden.

Punkt 1 wird von der englischen Admiralität entschieden bestritten. Aber selbst wenn alle drei Punkte zutreffen, finde ich die Handlung nicht gerechtfertigt. Wenn ein Kriegsschiff mit einem Kind gefahren kommt, dürfte es nach menschlichen Grundsätzen nicht mehr angreifbar sein. Ein Schiff mit noch soviel Kontrebande hört auf erreichbar zu sein, wenn es 2000 unschuldige Menschen an Bord hat. Die Anwesenheit dieser Menschen müsste das Schiff sichrer schützen als die genialsten Panzerplatten. Es hätte dem deutschen Geist besser angestanden, zu sagen, die Schurkerei der Engländer macht uns die Kaperei der Munitionskisten unmöglich, indem das Schiff auch Menschen an Bord hatte, als es ihm ansteht zu sagen, es waren Munitionskisten an Bord, was gehen uns die Menschen an. Sie waren gewarnt!

Das ist auch so eine Sache. Die Warnung des deutschen Botschafters, die am 3. Mai in New-Yorker Blättern erschien, war sehr matt. So warnt man, sich auf eine Bank zu setzen, die frisch gestrichen wurde. Nach 2 1/2 Monaten des Blockadezustandes durch deutsche Unterseeboote, wo die grossen Passagierdampfer, unter ihnen die «Lusitania», unzählige Mal ungehindert den Verkehr zwischen New-York und England vermittelt haben, plötzlich eine Zeitungs-Annonce des Inhalts: «Die Reisenden werden daran erinnert (!),» dass Krieg ist. Sie fahren «auf eigne Gefahr» usw.

Kein Mensch kümmerte sich darum. 1280 Passagiere fahren mit der «Lusitania» ab. Deutsche Zeitungen sehen dies als eine Verhöhnung Deutschlands an. Im Gegenteil: Ich sehe darin ein hohes Mass von Achtung und Vertrauen. Man las wohl die Drohung, hielt aber die Deutschen in keinem Falle für fähig, diese Drohung auszuführen. Man hat sich allerdings getäuscht.

Vielleicht, wenn der deutsche Botschafter etwas deutlicher gewesen wäre, wenn er statt der allgemeinen Phrasen offen gesagt hätte, die deutschen Unterseeboote haben Auftrag, die «Lusitania» aufzuhalten und sie in den Grund zu bohren; dann könnte man mit der Achsel zucken und sagen: Sie sind ja gewarnt gewesen.

Diese kühle Korrektheit bei allen furchtbaren Taten ist unerträglich. Korrekt — wenn auch erst nachträglich — beim Einfall in Belgien, korrekt bei der Zerstörung von Loewen, korrekt bei der Beschiessung von Reims, korrekt bei der Torpillierung der «Lusitania». Furchtbar korrekt; sonst aber nichts.