Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 2. Juli.

Hunderttausend Opfer! In einem kürzlich in Wien geführten Prozess gegen einen russischen Gefangenen, der seinen Mitgefangenen ermordete, stellte der Richter an den Angeklagten die Frage: «Haben Sie sich denn kein Gewissen daraus gemacht, einen Menschen umzubringen?» (Arbeiter-Zeitung vom 15. Juni 1918 Seite 7, Spalte 2 .) Diese Frage sollte man doch an jene stellen, die diese überflüssigste Offensive gefordert befürwortet und schließlich unternommen haben.

Die «Ostdeutsche Rundschau» schrieb am 14. April (Arbeiter-Zeitung vom 29. Juni 1918, Seite 5, Spalte 2):

«Es geht das dumpfe Geraune durch die Gasse — es kann nur von Böswilligen verbreitet werden — dass man Italien nicht mehr anzugreifen gedenke. Diese albernen Ausstreuungen werden durch die Worte Kaiser Wilhelms glänzend widerlegt. Es erwächst uns die Pflicht, die Feinde auf allen Kriegsschauplätzen rücksichtslos anzugreifen und zu schlagen. So wird es auch geschehen, dafür bürgt uns das kaiserliche Wort.»

Man könnte diesem alldeutschen Blatt die Frage des Wiener Richters in etwas veränderter Form vorlegen «Haben Sie sich denn kein Gewissen daraus gemacht, 100 000 Menschen dem Tod und dem Siechtum auszusetzen?» Die Alldeutschen sind die Mörder der Völker.

Am italienischen Kriegsschauplatz sind die Österreicher wieder irgendwo zurückgegangen. Natürlich nur aus Menschenfreundlichkeit. Der amtliche Bericht sagt:

«Da sich der Col de rosso und der Monte di Val Bella nur unter großen Opfern hätten behaupten lassen, wurden die Besatzungen dieser Punkte in die frühere Hauptstellung . . . zurückgenommen.»

Wie wäre es, wenn man mit dieser Ausrede Frieden schlösse? So etwa: «Da sich der Krieg nur unter großen Opfern hätte fortführen lassen, haben wir mit Italien und 240 seinen Verbündeten Frieden geschlossen.» — — Das wäre noch etwas!