Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 4. Juli.

In Wien ist die «Kriegsausstellung» eröffnet worden. Wieder ein Versuch, unter dem Deckmantel der Vaterlandsliebe ein Geschäft zu machen und sich auszuzeichnen. Die Grundidee dieser Ausstellung ist, zu zeigen, was für grosser volkswirtschaftlicher Faktor der Krieg ist. Also eine direkte Ablehnung und Ausschaltung der Vernunft. In den Wiener Zeitungen annonciert das «Kriegs-Ausstellungs-Kino»: «Die grosse Filmrevue Wien im Krieg, vier lustige Akte sowie das übrige Programm» — — — Vier lustige Akte! Hat man eine grössere Trottelei je erlebt!

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Quidde hat im bayrischen Landtag über die Verletzung des Briefgeheimnisses interpelliert. Auch im Inlandverkehr werden Briefe geöffnet. Er wisse das aus eigener Erfahrung. Seine Briefe würden von der Militärbehörde geöffnet und ihm dann wieder verschlossen zugesendet, womit der Eindruck erweckt werden soll, als ob sie überhaupt nicht geöffnet worden seien. Der Vertreter des Kriegsministeriums erwidert, dass keine Kontrolle des Inlandbriefverkehrs stattfinde, Prof. Quidde jedoch gegenüber eine Ausnahme gemacht werden musste, da die von ihm betriebene pazifistische Agitation die Interessen der Kriegführung gefährde. — Die Agitation Quiddes bezog sich auf die Ausgestaltung des künftigen Friedens zu einem sichern Frieden, demgemäss bekämpfte er die Fata morgana der Annexionisten, die die Sicherheit der Zukunft durch Eroberungen untergraben wollen. Durch die Verfolgung und Schikanierung der Pazifisten zeigt der Militarismus seine Schwäche. Bertha v. Suttner weist auf den Widerspruch hin, der darin liegt, dass die Regierungen sich immer durch die Behauptung reinwaschen wollen, es seien die Völker, die die Kriege wollen. Wenn jedoch einer gegen den Krieg auftritt, werde er eingesperrt. So ist es jetzt in Deutschland. Das Volk wollte den Krieg nicht, hat schon längst davon genug, man meint aber, dass diese Abneigung nicht besteht, wenn man jede Äusserung darüber unterdrückt.

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Fürst Bülow hat gesprochen. Leider bietet das, was er gesagt hat, eine grosse Enttäuschung. Das Kriegsziel ist ihm Machterweiterung, und der Zustand, der nach dem Krieg kommt, soll wiederum nur durch Rüstungen gesichert sein.

«Dieser Krieg», so heisst es in der Einleitung, die Fürst Bülow seinen bereits vor dem Krieg erschienenen Betrachtungen über die deutsche Politik in der neu erscheinenden Ausgabe voransetzt, «ist nicht nur für uns Deutsche ein Nationalkrieg, er ist es für Engländer, Franzosen und für den massgebenden Teil der Bevölkerung Russlands in gleicher Weise geworden. Der durch den Krieg einmal entfachte und mit Blut besiegelte nationale Hass wird nach dem Krieg so lange fortleben bis ihn eine anders gerichtete nationale Leidenschaft ablöst. Deutschland muss sich heute sagen, dass, wenn der Krieg selbst nicht ganz neue, freilich unwahrscheinliche Situationen schaffen sollte, die erbitterte Stimmung in Frankreich, England und Russland sich aus dem Krieg in den Frieden forterben wird. Diese Tatsache wird massgebend sein müssen für die Gestaltung des Friedens. In doppelter Hinsicht. Der Schutz, den Deutschland in Zukunft gegenüber der Feindseligkeit, dem erneuerten und neuen Revanchegelüst in West, in Ost und jenseits des Kanals findet, kann nur liegen in seiner eigenen vermehrten Macht. Die Rüstungen zu Lande und zu Wasser werden auch die Gegner stärken. Wir aber müssen uns an unseren Grenzen und an unserer Küste stärker, schwerer angreifbar machen, als wir es zu Beginn des Kriegs waren. Nicht in dem uns angedichteten Streben nach Weltherrschaft, sondern um uns zu behaupten. Das Ergebnis des Kriegs darf kein negatives, es muss ein positives sein. Es handelt sich nicht darum, dass wir nicht vernichtet, nicht verkleinert noch zerstückelt, noch ausgeraubt werden, sondern ein Plus in Gestalt realer Sicherheiten und Garantien als Entschädigung für nie gesehene Mühen und Leiden, wie als Bürgschaft für die Zukunft».

Also mehr rüsten als vorher. Also ein Rüstungswettbewerb noch verstärkter als jener, unter dem wir bislang litten, und der als Resultat dieses Debacle gebracht hat! Wenn das der Weisheit letzter Schluss sein soll, dann tut uns die Menschheit leid. Ein Staatsmann aber, der keinen andern Ausweg weiss aus diesem Elend, als eine Verstärkung des Elends und der Not erweist sich für die kommenden Fragen und ihre Lösung untauglich. Das Programm des Fürsten Bülow für die Zukunft ist Pfuschwerk, über das die Zukunft mit der rasenden und zermalmenden Rücksichtslosigkeit hinwegrasseln wird wie ein Expresszug.