Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 11. Juli.

Kühlmann ist gegangen. Vierzehn Tage nach seiner Rede, in der er erklärt hat, dass dieser Krieg militärisch nicht beendigt werden kann. Er ging nicht als Sieger, sondern als Besiegter. Nun triumphieren die alldeutschen Schädlinge. Sie werden vielleicht an diesem Triumph zugrunde gehen.

Das Wolff-Bureau überschüttet uns mit einem Blütenmeer von Berliner Zeitungsäußerungen, aus denen hervorgehen soll, dass froh Kühlmanns Abgang der Kurs der Reichsregierung der alte bleibt. Das versichern auch die alldeutschen Blätter. Es fragt sich wahrhaftig nur, was heute in Berlin als Reichsregierung angesehen wird. Ist es die nominelle, die mit den Namen Hertling und Payer gezeichnet wird, oder die tatsächliche, die im Großen Hauptquartier ihren Sitz hat. Diese bleibt die alte. Aber es kann doch nicht aus der Welt gelogen werden, dass Kühlmann gehen musste, weil er das militärische Lügengewebe mit seiner Klugheit zu stören drohte. Jetzt, wo man die neue opferreiche Offensive nach Paris zu plant, wo man das Schlagwort ausgibt, Frankreich und Italien seien bis zum Herbst erledigt, worauf der Kontinentalfriede sich einstellen wird, kann so ein unangenehmer Mensch, der durchaus erkannt haben will, dass die schönsten Siege keinen Frieden bringen, nicht genehm sein.

Und doch habe ich den Eindruck, Kühlmann ist nicht dem Machtbewusstsein der Alldeutschen und Militaristen zum Opfer gefallen, sondern ihrem uneingestandenen Entsetzen, ihrer erwachenden bleidien Angst. Anders sind die dem verflossenen Staatsekretär gemachten Vorwürfe nicht aufzufassen. Er wollte uns die Siegeszuversicht rauben, dem deutschen Volk die Durchhaltekraft stören! Wäre man wirklich des Sieges so bewusst wäre das Durchhalten mehr als ein Schlagwort, mit dem man die Geister betört, so hätten die Worte eines Zweiflers nicht solch tiefen Eindruck hervorgerufen. Aber im innern Busen unserer Welteroberer beginnt der Zweifel schon lange zu nagen, nur trauten sie sich nicht, es sich einzugestehen, zitterten sie davor, es den von ihnen Betörten gewahr werden zu lassen. Darum hat sie die Rede Kühlmanns so erschreckt, haben die Worte, die nur ihre eignen, stillen Zweifel zum Ausdruck brachten, so aufgeregt, dass sie nur in der Beseitigung dessen, der «töricht genug sein volles Herz nicht wahrte», die Rettung der Illusion des militärischen Endsieges erblickten. Sie glaubten in ihrer Angst, dass die Beseitigung des so offen Redenden den Glauben an sie aufrecht erhalten wird. Sie täuschen sich!