Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 12. Dezember.

Die Reichskanzlerreden vom 9. Dezember sind das Ereignis des Tages. Ich finde sie wenig glücklich. Sie bieten keine Anknüpfungspunkte, errichten eher ein kaudinisches Joch für den Gegner. So kommt man nicht zu einem Abschluss des wahnsinnigsten aller Kriege. Der Reichskanzler berief sich auch zu sehr auf Presseäusserungen der Gegner, worin erniedrigende Friedensbedingungen für Deutschland aufgestellt wurden. Er müsste wissen, dass die Presse heute nicht die Vertreterin der öffentlichen Meinung, sondern ein militärisches Kampfmittel ist.

Das Hauptbedenken, das die Rede des Reichskanzlers aufwirft, liegt darin, dass er die Annexionsbestrebungen zu teilen scheint. «Weder im Osten noch im Westen dürfen unsere Feinde von heute über Einfallstore verfügen, durch die sie uns morgen erneut schärfer als bisher bedrohen können». Das ist ein deutliches Bekenntnis zur Annexion. Das heisst dann auch Kriegsverlängerung. Denn heute sind die Gegner, trotz der deutschen Erfolge, noch nicht in einer Lage, dass sie darauf eingehen müssten. Es sollen also der künftigen Sicherung, wie man sie sich heute vorstellt, neue Opfer gebracht werden. Wie kann man überhaupt daran denken, den künftigen Frieden durch militärische Massnahmen sichern zu wollen. Die Geschichte lehrt, dass kein Gegner unfähig war, nach einer erlittenen Niederlage wieder Krieg zu führen. Es sei denn, dass man ihn vollständig vernichten und zerstückeln konnte. Das können die heutigen Kriegführenden auf keiner Seite erwarten. Sie mussten einsehen lernen, dass die beste Sicherung des künftigen Friedens für alle in einer Annäherung durch ein auf Recht und Gegenseitigkeit aufgebautes Staatensystem beruht. Jede Gewaltsicherung öffnet neue Einfallstore, wenn es ihr auch gelingt, die alten für den Augenblick zu verrammeln.

Der Friedensschluss könnte nur herbeigeführt werden durch die wirkliche Errichtung des Friedens, d.h. durch ein Abkommen, das nicht nur diesen Krieg beendigt, sondern auch jenen sogenannten Frieden, den wir bisher gehabt haben. Aber dazu scheinen die Verantwortlichen unter den Kriegführenden psychologisch nicht geeignet zu sein. Es sollten sich repräsentable Persönlichkeiten aller Länder finden, die die Bedingungen des künftigen Friedens in einem neutralen Land dauernd erörtern. Natürlich müsste die Auswahl dieser Personen einigermassen Vertrauen erwecken. Es ist schade, dass das Berner internationale Friedensbureau gerade in diesem Augenblick versagt. Dieses Institut wäre berufen gewesen, einen solchen Areopag anzuregen und zu versammeln.

Die Kriegführenden müssten zu der Erkenntnis kommen, dass es überhaupt nicht möglich sein wird, den einen oder den andern Teil der Gegner endgültig zu besiegen. Die Aufoktroyierung eines Friedensschlusses ist unmöglich. Das Ende des Kriegs wird das Ergebnis gegenseitiger Konzessionen sein. Der Reichskanzler hat gesagt, dass die von der Entente zu gebenden Garantien umsomehr wachsen, dass Deutschland umsomehr fordern müsse, je länger und je verbitterter die Gegner diesen Krieg führen. Mir will scheinen, dass die Länge des Krieges die möglichen Ergebnisse für beide Teile verteuert und verringert, dass der höchste Gewinn in der Abkürzung liegt. Jeder Tag, der dem Wahnsinn abgerungen wird, ist unschätzbarer Vorteil.

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Hermann Hesse hat es für gut befunden, in einem in der Wiener «Zeit» (7. November) erschienenen Feuilleton, das er «Die Pazifisten» betitelt, der Denkträgheit der Masse Vorschub zu leisten, und durch eine leichtfertige Verdächtigung unsere schwierige Arbeit zum Nachteil der Menschheit noch mehr zu erschweren.

In diesem Feuilleton sagt er vorerst lauter liebe Dinge über die «Pazifisten». «Wie sie mitten zwischen dem Waffenlärm der halben Welt um ihre kleine schöne Fahne stehen, wie sie mit dem Mut und mit der leisen Beschränktheit des wahren Idealisten ihre Blicke nicht auf das richten, was ist, sondern allein auf das, was sein wird, was sein soll, was einmal (!), später (!), irgendwann (!) zu verwirklichen ihr ,Traumziel' ist». Das sind giftige Pfeile! Das ist ein Buhlen um den Geschmack der Masse. So hat vor dem Krieg der «Simplizissimus» den preussischen Leutnant, haben die «Fliegenden Blätter» den protzigen Kommerzienrat gezeichnet, wie hier der Träger eines bekannten Namens die «Pazifisten» charakterisiert. In nicht übertragener Sprache bezeichnet er uns hier als die Schafsköpfe, die winselnd und weinend die Zeichen der sogenannten «grossen Zeit» nicht verstehen. Hermann Hesse hat sich sein Urteil über «Die Pazifisten», über die er acht Druckspalten schreibt, aus Broschüren, Flugblättern, Kundgebungen, Einladungen, Aufforderungen gebildet, die ihm von «pazifistischer Seite» seit Kriegsbeginn allwöchentlich zukamen. Dass die jetzt allenthalben hervorspriessenden Unternehmungen und Kundgebungen, die sich mit dem Frieden befassen, nicht immer den besten Eindruck machen, sei zuzugeben. Aber alles, was jetzt über den Frieden geschwätzt wird, als «Pazifismus» zu nehmen, ist eine Leichtgläubigkeit, die man dem Mann der Masse verzeihen kann, aber nicht einem Mann der geistigen Elite. Am allerwenigsten, wenn er glaubt, sich aus solchen Äusserungen seine Anschauung so gebildet zu haben, dass er sich für berechtigt fühlt, darauf ein Urteil zu gründen und einen unsachlichen Artikel in einem gelesenen Blatt darüber zu schreiben. Wird sich Herr Hesse bereit finden, auf Grund von Broschüren und Prospekten über Schwindsuchtspillen, Rheumatismusschnäpsen, elektrische Kraftgürtel und ähnliche Quacksalbereien einen Artikel über «Die Mediziner» zu schreiben? — Wer Pazifismus von der Pazifisterei nicht zu unterscheiden weiss, blamiert sich, wenn er es unternimmt, sich öffentlich über die echte Bewegung zu äussern.