Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 24. April.

Die Schleier fallen von dem Pariser Friedenswerk. Es zeigt sich schon, wie weit entfernt es ist von dem, was es der Menschheit sein wollte, was Wilson wirklich daraus zu machen die Absicht hatte. Der Streit um den Raub beginnt. Ganz so wie 1913 am Balkan. Heute hat die italienische Delegation Paris verlassen und sich damit von der Friedenskonferenz zurückgezogen. Wilson hat ihre Ansprüche auf Fiume abgelehnt, vielleicht auch — Wilsons entscheidende Note ist hier noch nicht bekannt — weitergehende Ansprüche in Dalmatien. Die Sieger sind sich also nicht einig geworden, und die Sezession in dem Augenblick, wo die Besiegten zur Entgegennahme der Friedensbedingungen erscheinen, wird den Alliierten nicht angenehm sein. Der Schritt der Italiener, welche Folgen er auch haben mag, zeigt, dass hier ein Friedensschluss gezimmert wird, wie alle bisherigen waren, der die Keime des nächsten Kriegs bereits in sich trägt. Solche Anzeichen gibt es schon zur Genüge. Da wird von dem Kampf zwischen China und Japan um Kiautsdiou berichtet. Die Japaner wollen den früheren deutschen Raub behalten. Sie wenden ein, sie hätten Kiautschou Deutschland weggenommen, dem es gehörte, nicht China. Die Chinesen setzen dem entgegen, dass Kiautschou von den Deutschen gepachtet ward, durch die Kriegserklärung Chinas an Deutschland alle zwischen den beiden Staaten geschlossenen Verträge hinfällig wurden, so auch jener Pachtvertrag. — Welche Heuchelei, welche Unaufrichtigkeit. Würden wir wirklich einen Weltfrieden errichten wollen, dann müsste doch von allen Seiten ganz ehrlich zugestanden werden, dass Kiautschou nicht durch Pacht, sondern durch Vergewaltigung in Deutschlands Hände kam, und daher China zurückgegeben werden muss. Aber wer denkt heute in Paris an solche Beweisgründe, wer würde dort eine solche offene Sprache führen?

Ein anderes Charakteristikum dieses Friedens, der uns da beschert wird. Ein Telegramm des tschechischen Pressebureaus meldet unterm 23. April aus Prag folgendes:

«Amtlich wird festgestellt, dass die tschechischen Waffenbestellungen bei den Skodawerken ausschließlich der defensiven Komplettierung des Geschützparkes und keinesfalls einem offensiven Zweck dienen.»

Also Tschechien beginnt bereits zu rüsten.

Man hat dort so wenig von dem neuen Geist begriffen, dass man mit der ältesten Heuchelphrase glaubt, die Welt betrügen zu können.

Nachdem die Völker der Erde, die alle «nur zur Defensive» gerüstet haben, durch ihre Rüstungen in den furchtbarsten Krieg hineingetrieben wurden, wagt man es, von Rüstungen zu sprechen, die nur zu Defensivmaßnahmen dienen sollen.

Es bleibt die Frage offen: wird Wilson diese Niederlage ruhig hinnehmen, sein Ansehen und das Amerikas ruinieren, oder wird er seine Macht spielen lassen?

Unter Umständen fällt der deutschen Friedensdelegation in Versailles noch eine große Aufgabe zu. Vielleicht ist es ihr beschieden, den wirklichen Frieden zu retten!