Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Locarno, 31. März.

Ostersonntag! Es ist Zeit, dass man darauf verzichtet, den Widerspruch der Ereignisse mit den Festen des Jahres zu registrieren. Das ging ein, zwei, drei Jahre lang, wo man, namentlich wie im vorigen Jahr nach der russischen Revolution, hoffen konnte auf eine neue, regenerierte Welt. Diese Hoffnungen sind verflogen; es heißt jetzt, sich einzurichten auf ein Weltbeben, das uns alle überdauern wird, auch die Kinder, die jetzt nur heranwachsen, um den fürchterlichen Kampf auch mit ihren Leibern zu führen. Ein Wiener Journalist (Molden) schrieb vor einigen Monaten irgendwo den Satz: «Die politische Schöpfungsgeschichte ist noch nicht abgeschlossen.» Er mag recht haben, und unser Leben, das uns durch Jahrzehnte die Hoffnung genährt hat, die Katastrophenepoche wäre bereits überwunden, ist nun plötzlich in eine solche Katastrophenepoche der politischen Schöpfung hineingelangt. Auch der Glaube, dass es eine kurze, eine beglückende Endkatastrophe sein werde, erwies sich als — Traum. Die Menschen denken noch immer an einen Frieden, der diesen Krieg beendigen wird, und der die Schönheiten des Lebens von früher wiederbringen soll. Die Staatsmänner und namentlich die Militärs weisen fortwährend auf diesen Frieden hin, den sie durch neue und immer größere Blutopfer glauben, erringen zu können. Das sind Toren die das glauben! Der Friede kommt nimmer, auch nicht wenn er morgen unterzeichnet werden sollte. Die durch diese Katastrophe erschütterte Welt wird nur einen wahren, einen pazifistischen, einen auf Recht begründeten Frieden als solchen betrachten können, und den vermag das Schwert nicht zu schaffen. Am allerwenigstens das deutsche Schwert, das für den Machtgedanken, für die Oberherrschaft eines Volkes ficht. Es ist ein schöner, aber ein oberflächlicher Gedanke, dem deutschen Volk einzureden, unser Sieg in Ost und West hindert den Sieg der Feinde über uns. Aber mit der Verhinderung des Sieges der anderen durch eignen Sieg ist der Friede nicht gebracht, wird nur der Krieg verlängert und die Grundlage des wirklichen Friedens vernichtet. Die Verhinderung des Sieges der andern darf nie so weit gehen, dass damit ihre Besiegung, ihre Demütigung, ihre Beraubung verbunden wäre. Er darf nur bis zur Abwehr gehen. Wo er dieses Mab überschreitet, sät er Krieg, Krieg und dauernd Krieg. Jede Etappe, die die deutsche Kriegsmaschine im Westen fortschreitet, vernichtet diese Grundlagen, vernichtet die Dauerhaftigkeit der notwendigen Weltbefriedigung. Jeder Hurra begrüßte Sieg der deutschen Waffen ist ein Sieg des weltzersetzenden, kulturzerstörenden Militarismus und muss von jedem weiter in die Entwicklung der Dinge Blickenden mit Trauer aufgenommen werden. Es ist nicht wahr, dass die deutschen Heere im Westen um den Frieden ringen. Sie ringen um Land, sie ringen um Geld, sie ringen für das Dasein und das Ansehen der Kriegsparteien im Land, die ohne Kriegsentschädigung und Landraub vernichtet und verurteilt wären vom eignen Volk.

Darum kann man an diesem Ostertag nur trüb in die Zukunft blicken. Die Menschenopfer sind unerhört, die Vernichtung ist grauenhaft und das Ergebnis, wenn der deutsche Machtgedanke siegt, ist Krieg, Krieg, Krieg, auch wenn eine Beendigung des jetzigen Kriegs durch solchen Sieg erzwungen werden sollte. Eine Beendigung dieses gigantischen Weltringens, das die Weltordnung nicht errichtet und alles wieder auf Bajonnetten aufbaut, ist nur die Fortsetzung des heute akuten Unheils in latenter Form.

Was ein solcher «Friede» sein wird, davon machen sich die heute von Sieg Berauschten ebensowenig eine richtige Vorstellung wie sie sich eine solche von dem jefeigen Krieg gemacht haben. Was es heißen wird, das im Kampf gegen eine Welt Errungene festzuhalten in einer Welt, die nun dauernd auf dem Quivive stehen wird, die nun nicht mehr bloße in Europa, sondern über den ganzen Erdball mit stets wachsenden stehenden Heeren und stets raffinierter werdenden Kriegsmaschinen besetzt sein wird, darüber kann sich kein noch so talentierter Feldherr eine Vorstellung machen. Die Welt wird brennen in solchem Frieden, und was wir an Rüstungswahnsinn vorher erlebt haben, wird eine Lächerlichkeit sein gegen diese Gefahr eines Kriegs gegen dreißeig Fronten, dem Deutschland künftig ins Auge wird sehen müssen. Solchem Frieden arbeiten nun die deutschen Heere, die ingeniösen Erfinder der Giftgase, der weittragenden Kanonen, die Götzendiener der Artillerie zu. Solchem Frieden! Und sollte er eines Tages Wirklichkeit werden dann wird das Blut fließen durch die Jahrzehnte, entweder im latenten Krieg, der den Menschen alle Lebenswerte rauben wird, oder in einem noch fürchterlicheren neuen, akuten Krieg der Millionen das Leben selbst rauben wird.

Welch ein Glück, welch frohe Osterbotschaft wäre es, wenn die deutschen Heere im Westen zum Stillstand kämen, wenn sie ein neues Verdun erleben würden! Dann wird die gesunde Kraft, die im deutschen Volk schlummert, die Oberhand gewinnen über die Fieberkrankheit des Militaristenwahns und würde die Hand zum Völkerbund, zur Weltherrschaft des Rechts bieten.

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