Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

11. März (Zürich).

Die Schlußsitzung (9. März) des preussischen Landtags hat keinen erhebenden Eindruck gemacht. Der Etat wurde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, bei absichtlicher Abwesenheit der Polen und Dänen, angenommen. Die Aussichten für ein liberaleres Regime erscheinen nach dem Verlauf jener Sitzung nicht sehr glänzend. Die Polen und Dänen verlangten die Aufhebung aller Bestimmungen, die eine Ausnahmebehandlung ihrer Nationalen mit sich bringen, und die Streichung der zur Bekämpfung ihres Volkstums bestimmten Posten des Etats. «Auf den Schlachtfeldern dieses Kriegs ist nach den Verlustlisten mehr polnisches Blut für den Staat geflossen, als nach dem Zahlenverhältnis der Bevölkerung zu erwarten war» betonte der polnische Redner. Und der dänische Vertreter wies darauf hin, dass die Dänen Preussens «zu tausenden auf den Schlachtfeldern im Osten und Westen verblutet haben».

Die Erklärungen des konservativen Parteiführers, des Herrn v. Heydebrand, waren sehr hochmütig und wenig aussichtsreich. Seine Partei wolle nach dem Krieg in eine Prüfung der Frage eintreten. Bestimmte Zusicherungen könne er jetzt nicht geben, doch glaube er sagen zu dürfen, dass diese Prüfung geleitet sein wird von dem ehrlichen Bestreben, auf Grund des dann vorliegenden Materials und in den Grenzen unsres preussischen Standpunktes und des deutsch-nationalen Interesses, den Wünschen und Forderungen der polnischen Bevölkerung so gerecht und so wohlwollend entgegenzukommen, wie es nach unsrer Auffassung dann nur irgend möglich sein wird».

Das klingt nicht sehr verheissend.

Auch die Äusserungen des Justizministers über die Verhaftung der Rosa Luxenburg, wobei er das Frauengefängnis als eine für ihren Gesundheitszustand sehr förderliche Anstalt bezeichnete, erscheint mir wenig der Situation angepasst.

Von dem Geiste der Verständigung, der Anerkennung für die Volksleistungen an Gut und Blut, von dem Willen, zu der Politik eines «freien Volkes» zu gelangen, war in dieser Sitzung nichts zu verspüren.