Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 28. Dezember.

Gestern abend die Weihnachtsnummer der «Neuen Freien Presse» gelesen. Schlaflose Nacht gehabt. Es ist unerhört, mit welch tändelnder Liebenswürdigkeit hier das grösste Verbrechen der Zeit dargestellt wird. Aus jeder Zeile dringt Weihrauch als Dank für das ungeheure Glück, das uns da beschieden ist. Dieses Blatt erhält und ernährt eine Psyche, die es dem Volke unmöglich macht, klar zu sehen.

Nach den Zeitungstelegrammen wurde allenthalben während der Feiertage gekämpft. Überall ohne wesentliche Entscheidung aber unter starken Verlusten. Das war die Weihnachtsfeier der Christenheit. «Christentum, gepredigt aus Kanonenschlünden». Die Leute ergehen sich alle in Spott über den angeblichen Bankrott des Pazifismus durch den Krieg. Wirklich bankrott ist das Christentum durch ihn, nicht der Pazifismus, der alle Kompromisse mit der Kriegspartei ablehnt.

Vor den Feiertagen ist die «Friedens-Warte» erschienen. Acht Seiten stark statt achtzig. Die Art des Eingriffes ist unerträglich, da sie ungerecht ist. Die Unterdrückung des Blattes wird im neutralen Ausland böses Blut machen. Wozu war das noch nötig?