Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 23. März.

Grüsse aus der Heimat! Ein Freund schickt mir einige Hefte von Roseggers «Heimgarten» mit heftigen Angriffen gegen mich. Der eine ist wenigstens ehrlich mit dem Namen gezeichnet. Und dieser Name lautet: Dr. Hans Ludwig Rosegger. Des Dichters Sohn. Das Ganze eine Briefkastennotiz und schon vom Dezember 1914 herrührend. — Vom Dezember 1914! Lang, lang ist’s her. — Hier der Text:

«Ich teile Ihre Entrüstung über das ,Kriegstagebuch’ Alfred H. Frieds in der ,Friedens-Warte’. Der ,Pazifist’ begreift und entschuldigt die Grausamkeiten der Franzosen und Belgier, nimmt sogar frech ,das perfide Albion’ in Schutz (trauert innerlich vielleicht um den ,Friedenszaren’) und verdächtigt nebenbei Deutschland und Österreich. Wir alle sind Friedensfreunde — aber nicht bis zur Selbstentmannung, Ehrlosigkeit und bis zum Volksverrat — und gerade deshalb verdammen wir das Gewinsel des Herrn Fried, der unsre Kraft und unsre Macht vor dem feindlichen Ausland herabsetzt und dadurch baldige günstige Friedensaussichten schmälert. Deshalb schütteln wir den Mann einfach ab. Er gehört nach Paris oder London zu unsern hasserfüllten Feinden».

Köstlich! Welches Gemisch von Beschränktheit und Bosheit, und, als Ausfluss dieser Geisteseigentümlichkeiten, wie bösartig boshaft! Also mein «Kriegstagebuch» ist schuld daran, dass der Krieg (Dezember 1914!) solange dauert und die günstigen Friedensaussichten geschmälert werden. Mein Tagebuch! Ich hoffe, dass Hans Ludwig Rosegger, der erst 36 Jahre alt ist, mittlerweile ausgezogen ist, und, weit weg von seinem Schreibtisch, irgendwo an der Front — an der wirklichen Front — die Schäden, die mein Tagebuch angerichtet haben soll — mit der Waffe in der Hand korrigiert hat. Diese Hoffnung beruhigt mich einigermassen.

Im übrigen lohnt es sich nicht, das Gewäsch eines durch Zeitungsgekrächze Verdorbenen gebührend abzufertigen. Nur auf den einen Satz muss ich eingehen, auf jenen gemeingefährlichen Gemeinplatz, der schon so viel Blut gekostet hat: «Wir alle sind Friedensfreunde —» Ihr Gaukler! Was glaubt Ihr damit zu sagen! «Friedensfreunde» das ist nicht viel, das ist nicht mehr als «Maikäferfreunde», Briefmarkensammler», «Kartoffelliebhaber» oder «Träger von karrierten Hosenstoffen»! Nicht um ein Jota mehr, mein lieber Barde aus der grünen Steiermark! — Wollt Ihr der Menschheit etwas nützen, dann seid Kriegshasser, Kriegsvernichter, Kriegstöter, seid Menschenfreunde, Retter aus der Vertierung, Wahrer der Menschenwürde, seid Friedenseinrichter, Friedenserbauer, Blutende für die Befreiung aus Wahnsinn, — seid Christen! «Friedensfreunde» mit jenen phrasenhaften Einschränkungen sind Gaukler, Betrüger, Verbrecher, gehören auf den Misthaufen der Weltgeschichte, hingeworfen mit Millionen Fusstritten aller jener, deren Herzblut rinnt und unaufhörlich versickert durch die Wehstösse des brandigen Verbrechens, der stinkenden Fäulnis, die die «Bloss-Friedensfreunde» über die Welt gebracht. Hans Ludwig Rosegger nennt das Weh, das meine Feder leitet, ein «Gewinsel». Warte, Du Ahnungsloser, Du wirst es noch zum Orkan anwachsen hören!

Es ist der selbe Geist des Briefkastens von 1914, der sich im Septemberheft des «Heimgarten» von 1915 — diesmal aber ungenannt — mit meinem Tagebuch beschäftigt. Wer Lust hat lese es nach, S. 952 und 953.

«Wir Freunde des Friedens (Aha!) haben mit dem Herausgeber der ,Friedens-Warte’ nichts gemein (das will ich meinen!), seine Ansichten sind nicht unsere Ansichten, und was er rät und vorschlägt, ist unantastbar sein geistiges Eigentum, an dem wir uns nicht vergreifen wollen!» —

Das wollt ihr überhaupt nie, ihr seid arm an Geist; aber wenigstens aus Ehrlichkeit.

Ach Gott! Man könnte Bücher schreiben über diese Ehrlichkeit. Aber es nützt nichts. Dieses Sich-Nicht-Vergreifen-Wollen am geistigen Eigentum ist doch auch nur das Schönheitspflästerchen für ein Nichts, wie die Phrase von der Friedensfreundschaft.

Es war ein Gruss aus der Heimat!