Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 27. Oktober.

Nach Kühlmann sprach vorgestern Barthou, der neue französische Außenminister, «Frankreich kann Deutschland keine Konzessionen bezüglich Elsaß-Lothringen machen, Nein, niemals!» Da haben wir also die Diplomatie auf einem toten Punkt festgerannt wie die Truppen an der Westfront, der Stellungskrieg der Diplomatie. Als ob nicht 39 Monate Krieg hinter uns lägen! Nichts geändert wurde durch das Morden. Diese beiden «Niemals» bedeuten doch nichts anderes als eine Verewigung des Kriegs. Es ist nur ein Glück, dass diese Hartnäckigkeit nur für die Personen gilt, die das Wort gesprochen und ein künftiger Nachfolger des einen oder des andern der unbeugsamen Propheten durch den Ausspruch des Vorgängers nicht gebunden ist.

In Ungarn (wahrscheinlich auch in Österreich) scheint man sich mit dem «Niemals» des Herrn von Kühlmann sehr ernst zu beschäftigen. Dortigen Kreisen wird es endlich klar, dass die Völker der Monarchie um Elsaß-Lothringen willen nicht verbluten können. Die Mystik, mit der man in Deutschland diese Quadratkilometer umgibt, verliert jenseits von Oderberg ihre Wirkung. Graf Karolyi, der mutige Pazifist des ungarischen Parlaments , hat mit Kühlmann anläßlich seines lebten Budapester Aufenthalts über die Möglichkeit eines Ausgleichs über Elsaß-Lothringen gesprochen. Der deutsche Staatssekretär wies die Vorschläge des ungarischen Politikers mit Protest zurück. Dieser wies darauf hin, dass ja auch Deutschland sich im Interesse des Friedens für die Abtretung österreichischen Gebiets ins Zeug gelegt hat. Jetzt (am 25.) hat Graf Karolyi die elsaß-lothringische Frage nun auch im ungarischen Parlament zur Sprache gebracht und die darüber geäußerte Entrüstung als ungerechtfertigt bezeichnet.

«Ich glaube nicht,» so sagt er, «dass es eine Illoyalität gegenüber den deutschen Verbündeten bedeutet, wenn man einen Modus dafür sucht, dass die elsässische Frage in entsprechender Weise gelöst und dadurch das einzige Hindernis des Friedens beseitigt wird.»

Heute besuchte mich ein französischer Journalist (R.M.), der in der Schweiz verschiedene Angehörige der Zentralmächte aufsuchte. Er versicherte mir, dass man in Frankreich für die Österreicher die größte Sympathie hege und dass eine Vernichtungsabsicht nicht bestehe. Er sprach von der Möglichkeit eines Separatfriedens mit Österreich, worauf ich ihm antworten musste, dass ich hierfür keinen Weg sehe. Er meinte, dass es für Österreich ein Wahnsinn wäre, sich für Elsaß-Lothringen zu opfern. Deutschland habe es heute nicht nötig, die beiden Provinzen aufzugeben, es kann dies aber in einem Jahr tun müssen. Ob es für die Monarchie lohnt, ein Jahr solchen Opfers noch auf sich zu nehmen? Er meinte sogar für Deutschland wäre das Ausspringen Österreich-Ungarns eine Erleichterung. Es könnte dann Elsaß-Lothringcn aufgeben, mit der Erklärung, dass es nicht besiegt sei, dass es nur durch das Ausscheiden seines Bundesgenossen dazu veranlasst wäre. Das Odium der Niederlage würde der Aktion nicht anhängen. Aus den Darlegungen meines französischen Besuchers konnte ich ersehen, mit welcher Zuversicht man der amerikanischen Intervention entgegen sieht. Dies erklärt die intransigente Haltung der Entente. Man erwartet namentlich fürchterliche Folgen von der amerikanischen Flugzeugrüstung.

Soll es dahin kommen? Es wird ein grobes Weltensterben, der krachende Niedergang einer Epoche. Wie Bertha von Suttner sagte: Entweder das Ende der Gewalt oder das Ende der Menschheit. Es sieht aus, als ob das Letztere zutreffen wird.