Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 24. März.

Das Unwetter zieht sich zusammen. Es zuckt bereits durch die Luft. Je mehr sich die Friedenskonferenz ihrem Ende nähert, um so mehr verflüchtigt sich der Friede, um so mehr entrückt uns die Hoffnung auf Ruhe in der Welt.

Vorgestern flog in Budapest die erste Mine auf; es sieht so aus, als ob wirklich jetzt der Krieg beginnen soll zwischen den unterdrückten Volksmassen und der Diplomatie der alten Ära. — Geht er wirklich los, der Weltkampf zwischen Proletariat und Kapitalismus, für den der Weltkrieg nur die Einleitung war? Fast scheint es so.

Graf Karolyi hat eine ihm überreichte Note der Entente, die die Auslieferung von zweieinhalb Millionen Ungarn an Rumänien forderte, mit seiner Abdankung zugunsten des Proletariats beantwortet. Die Kommunisten und Sozialisten haben einfach die Macht übernommen, in Ungarn die Sowjetrepublik ausgerufen und ihre Allianz mit der russischen Sowjetrepublik erklärt. Zwischen Budapest und Moskau wurden drahtlose Verbrüderungstelegramme getauscht. Es soll sich eine russische Bolschewikiarmee der galizischen Grenze nähern, die sich mit einer im geheimen aufgestellten 70 000 Mann zählenden ungarischen Armee vereinigen soll.

Damit ist die russische Bolschewikirevolution nach dem Westen hinübergesprungen. Graf Karolyi, der sein Land von dem Pariser Kongress preisgegeben sah, ließ die bürgerliche Gesellschaft in die Luft gehen und zeigte den Zöpfen in Paris, was sie bewirken, wenn sie in ihrem Unverstand das alte Gewalt- und Unterjochungssystem weiter bewahren wollen. Die Pariser Diplomatie dürfte über die Nachricht von der ungarischen Sowjetrevolution nicht weniger erschreckt worden sein wie der Wiener Kongress durch die Nachricht von der Rückkehr Napoleons aus Elba. Es ist ein deutliches Menetekel für Clemenceau, den typischen Vertreter des alten Geistes der gestern Wilson, nach dessen langem Sträuben, doch noch auf den Schlachtfeldern spazieren führen ließ, damit er ihn für seine Rache- und Vergewaltigungsabsichten gefügiger mache. Wird die Konferenz nun endlich einsehen, dass es sich nicht darum handeln kann, das alte System, das Europa zu diesem Abgrund gebracht hat, zu erneuern und zu verewigen, wird sie einsehen, dass wir wirklich Frieden, wirkliche Einigung, wirkliche Beruhigung in der Welt brauchen? Besinnt sie sich nicht auf diese Notwendigkeiten, dann wird der Friedensvertrag ein brüchiger Fetzen Holzpapier werden, der die Tinte nicht wert ist, mit der er geschrieben, wenn nicht, ehe es noch zum Friedensschluss kommt, die Konferenz auffliegt und weggeschwemmt wird von einer furchtbaren Weltrevolution.