Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 15. Dezember.

Die Zeitungsstimmen sind weiter trostlos. Aber, was man bis jetzt von offizieller Seite gehört hat, war zwar nicht erhebend, versperrt aber keineswegs die Zukunft. Briand warnt sein Volk vor

112

der Vergiftung durch den Friedensantrag der Zentralmächte. Er lehnt ihn aber nicht ab, sondern sagt ausdrücklich «ein derartiges Dokument will erwogen sein. Man muss sehen, zu welchem Ziel es führt.» Man schäle diesen Satz allein aus der langen Rede heraus, die im französischen Sinn ebenso patriotisch war, wie es die Reichskanzlerrede vom 12. Dezember im deutschen Sinn gewesen ist. Man muss sich hüten, jetzt den Kern mit der patriotischen Verpackung zu verwechseln. Ebenso verheisst Sonnino's Rede abwartende Haltung. Er stellte die Notwendigkeit einer Verständigung mit den verbündeten Regierungen in den Vordergrund. Bisher also nirgends ein Nein! Nur Abwehr der Siegesfanfare, die aus den Kommentaren der Note ertönt. Heute soll Lloyd George sprechen. Immerhin also, die Hoffnung darf nicht aufgegeben werden.

Es kommen auch bereits vernünftige Zeitungsaufsätze. Die «Westminster Gazette» schreibt sehr richtig:

«Wir können nicht nur dadurch antworten, dass wir mit den Füssen stampfen . . . Die Verbündeten können sich nicht einfach weigern, jeden ihnen in ordentlicher Weise unterbreiteten Vorschlag anzuhören.»

Der Mailänder «Avanti» hält es «auf alle Fälle unverantwortlich und absurd, ihn (den Vorschlag) a priori abzulehnen. Bis jetzt habe keine der kriegführenden Mächtegruppen etwas Ernsthaftes unternommen, um ein Ende des Kriegs herbeizuführen. Zum erstenmal biete sich jetzt eine Möglichkeit, die Lösung des Konflikts auf diplomatischem Weg zu erproben.»

Die «Stampa» hält mit ihrem Urteil zurück. Ein solches sei

«erst möglich, wenn man die deutschen Friedensbedingungen kenne. Ob der deutsche Versuch zum Frieden führe, oder ob er eine gesteigerte Kampffähigkeit hervorrufe , eines ist sicher, dass die gewaltige europäische Tragödie ihrem Abschluss entgegengehe.»

Sie verlangt, dass man den Wert der Ereignisse nicht unterschätze. Die «Tribuna» verhandelt bereits, indem sie bemerkt:

113


8 f'ried, Kriegs-Tagebuch. 111.

«Für den vom Reichskanzler proklamierten kleinen Sieg erweise sich der proponierte Friede als zu gross.»

Das sieht doch bereits alles besser aus. Man beginnt, sich zu sammeln.

* * *

Der Lichtblick aus Österreich, von dem ich am 28. Oktober hier sprach, ist erloschen. Das Ministerium Körber, auf das man so grosse Hoffnungen setzen durfte, hat nach sechs Wochen aufgehört zu sein. Es wurde den ungarischen Ambitionen geopfert. Das wirtschaftliche Abkommen Stürgkhs mit Tisza, das Körber anzunehmen sich weigerte, weil es eine arge Schädigung des österreichischen Volks bedeutet, steigt wieder empor. | Dieser plötzliche Sturz eines Ministers, auf den das Volk mit Vertraün sah, ist keine gute Vorbedeutung für die neü Ära, von der man in Österreich zu sprechen anfing.

* *

Gestern hier den Film «Die Waffen nieder!», nach Bertha von Suttner's Roman gesehen. Zu Beginn Bertha von Suttner selbst, am Schreibtisch in Bewegung. Seltsames Empfinden, die Tote in lebendiger Bewegung vor sich zu sehen.

Die Ankündigung des Films zog grosse Massen an. Der Saal des Volkshauses war überfüllt. Zweitausend Personen etwa. Tiefster Eindruck bei allen. Und doch bieten die Darstellungen nur einen andeutenden Abklatsch der Wirklichkeit. In den kriegführenden Ländern würde die Aufführung des Films jetzt die Revolution zum Ausbruch bringen. Darum erlaubt man ihn nicht. Merkwürdig, wie die Hüter des Kriegs, die stets von der «grossen Zeit» sprechen , ängstlich bemüht sind, alles zu vertuschen, wenn man diese grosse Zeit wahrheilsähnlich dem Volk zeigen will. Bertha v. Suttner’s Geist wirkte gestern auf die ergriffenen Betrachter der Leinwand. Ihr Ruf, der vor einem Vierteljahrhundert

114

,

ausgestoßen wurde, wird jetzt verstanden: «Die Waffen nieder!» —