Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 3. November.

Ein Schlachtbericht vom Yserkanal im «Berliner Tageblatt» vom 1. November schliesst mit den Worten:

«Euch grüsst, Ihr Frauen, Ihr Greise und Kinder, Euch alle, die Ihr in Deutschland und im Lichte seid, grüsst die tote Jugend!»

Die tote Jugend! Wir müssen ihren Gruss fürchten. Sie wird uns mit knöcherner Hand noch oft an die Vergeudung mahnen, die wir mit ihrem Leben getrieben haben.

Nach Berichten, die ich in französischen Zeitungen lese, müssen die Verluste an der Yser ungeheure gewesen sein. Leichenberge lassen den Kanal über das Ufer treten. An einer Durchbruchstelle allein 2000 Leichen deutscher Krieger.

Und all diese Schrecken bringen einer gewissen Presse den verbrecherischen Wahn des Krieges noch immer nicht zum Bewusstsein. Noch immer sucht man, jeden Versuch zur Vernunft mit heroischen Redensarten abzutun. Gestern las ich in der «Kölnischen Zeitung» die so hocherfreulichen Programmpunkte der in England gebildeten neuen Norman-Angell-Partei Punkt III sieht statt des bisherigen Systems des Mächtegleichgewichts ein «europäisches Konzert» mit einem öffentlich beratenden «Internationalen Rat» vor. Darob Gelächter der «Kölnischen»: Wir wissen, was wir von einem europäischen Rat zu erwarten haben. Wir werden uns auch nachher auf unser gutes Schwert verlassen müssen. — Derartiges Bramarbasieren wird man bei Zeiten zurückweisen müssen. Man sieht, wie weit man es mit dem «guten Schwert» gebracht hat. Zum Weltkrieg, den man gar nicht gewollt hat, zum Welthass, von dem man nicht weiss, wie man ihn los werden soll.

Man wird mit diesen Säbelrasslern erst in Liebe reden müssen. Wie mit einem Kranken. Man wird ihnen klar machen müssen, dass es sich in Wirklichkeit nicht um eine Betörung, um eine Umgarnung, um eine Einlullung handelt, sondern um den einzigen Weg, der zum Heil führt. Man wird ihnen klar machen müssen, dass sie die Güte ihres Schwertes nicht zu vernachlässigen brauchen, dass sie im Notfall ja immer dazu Zuflucht werden nehmen können, dass sie aber den Weg und die Mittel zur ehrlichen Verständigung, zur Zusammenarbeit mit den andern, zur Ordnung des Nebeneinanderlebens, dem sie sich ja doch nicht entziehen können, versuchen müssen, wenn sie nicht den Bann und den Abscheu der ganzen übrigen Welt auf sich werden ziehen wollen. Wir werden in Güte sprechen, wir werden es versuchen, ihr Vertrauen zu erwecken, und ihnen klar zu machen, dass wir aus den gleichen Motiven handeln wie sie; aus Liebe zu unserm Volke, aus Zuneigung zu unserer nationalen Kultur, zum Vaterland.

Wenn es uns dann aber doch nicht gelingt, sie zu bekehren; dann werden wir sie als die Feinde der Menschheit bezeichnen und so behandeln. Wahrhaftig, kein Mittel wird schlecht genug sein, um sie unschädlich zu machen. Das Blutbad und der Trümmerhaufen, den die Träger jener anarchistischen Weltanschauung hervorgerufen haben, darf nie mehr wieder Wirklichkeit werden in der Welt. Und wollen sie weiter versuchen, diese Weltanschauung aufrecht zu erhalten, dann werden wir sie als die Träger und Erreger behandeln müssen, als Anarchisten, als Feinde des Vaterlands und der Menschheit.