Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 17 Dezember.

Die heutigen Zeitungen enthalten folgendes Telegramm:

«Berlin, 16. Dez. (Wolff. Amtlich). Wie das Wolffbureau von unterrichteter Seite erfährt, teilte die deutsche Regierung mit, sie sei bereit, den russischen Kriegsgefangenen die Feier des Namenstages des Zars am 19. Dezember zu gestatten, wenn es in Gegenseitigkeit den deutschen Kriegsgefangenen in Russland freistehen würde, den Geburtstag des deutschen Kaisers festlich zu begehen. Wenn den deutschen Kriegsgefangenen unter dieser Gegenseitigkeit ermöglicht würde, einen Tag ihres gleichförmigen Gefangenenlebens festlich zu begehen, so wäre dies nur zu begrüssen».

Welch köstliche Erfindung eines Gutgesinnten, der gar nicht weiss, wie er mit solcher Anregung der Institution, der er nützen will, schadet. Nur an den Familienfesttagen der Staatsoberhäupter soll den Gefangenen das «gleichförmige Gefangenenleben» erhellt werden? Just nur an dem einen Tag? Soll ihr Elend dazu ausgenützt werden, um dem monarchischen Prinzip zu dienen? — Wäre es nicht besser, wenn die Regierungen der beiden Monarchien feste Vereinbarungen träfen, dieses unselige Los der beiderseitigen «Untertanen» dauernd erträglich zu gestalten. Vorläufig geht es unseren Gefangenen in Russland, wie ich aus zahllosen Privatberichten höre, elend. Es ist schon unerhört, dass man sie in das allen ungewohnte und allen schädliche Klima Sibiriens verbracht hat, sie Lebensbedingungen unterwirft, die bei der langen Dauer dieses Kriegs die Lebenskraft aller brechen muss. Es ist der trockene Tod, den man ihnen bereitet. Daneben werden sie allen möglichen seelischen Torturen ausgesetzt. Ihr Briefverkehr mit den Angehörigen wird fast unmöglich gemacht. Liebesgaben kommen in den seltensten Fällen in ihre Hände. Die Nahrung ist unzureichend, wird ihnen oft strafweise vermindert, die Unterkunftsräume spotten oftmals jeder Beschreibung. Und mitten in dieses Elend tänzelt da Einer mit dem süsslichen Vorschlag hinein, diese Gequälten, durch gegenseitiges Übereinkommen ein patriotisches, der Monarchenverehrung gewidmetes Fest feiern zu lassen. Sichert unseren Söhnen das Leben und die Gesundheit, das erscheint uns wichtiger! — Und das dürfte ebenso möglich sein, wie ein patriotisches Festarrangement.

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Im Reichstag ist gestern die neue Zehnmilliardenforderung in der Kommission einstimmig bewilligt worden. Das Plenum wird ebenso einstimmig folgen. Damit sind 40 Milliarden für diesen Krieg bewilligt, dessen Ende unabsehbarer ist denn je. Ist der Begriff der Milliarde denjenigen, die sich daran gewöhnt haben, damit zu manipulieren, noch klar? Wird hier nicht mit etwas Unbekanntem gearbeitet, über dessen Wirkung man sich keine Rechenschaft zu geben vermag? Erst bis das Schwergewicht der Wirkung sich geltend machen wird, dürfte man erkennen, um was es sich handelt. Und wenn man diese Milliardenopfer mit den Ursachen vergleicht, die sie notwendig gemacht haben, ist da die Frage nicht gestattet, ob Ursache und Wirkung im Einklang stehen, ob es nicht möglich gewesen wäre, diese Opfer zu vermeiden, und ob man alles getan hat — wirklich alles — das eine solche Vermeidung hätte herbeiführen können? Vierzig Milliarden! Vierzig Milliarden und kein Ende! Eine einzige hätte genügt, aus 65 Millionen Deutschen elendbefreite Geschöpfe zu machen. Das Wort Wahnsinn als Kennzeichnung dessen, das man Politik, das man Geschichte nennt, darf uns wahrlich nicht verwehrt werden!

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Die Friedensformel der Gewaltpolitiker lautet: «Wir müssen Sicherheit erlangen, die uns einen dauernden Frieden verbürgt, es den Feinden unmöglich macht, uns noch einmal zu überfallen». — Unmöglich noch einmal! Also den «ewigen Frieden!». Wo sitzen die Utopisten? Die einzige Sicherheit liegt ja doch nur darin, die sogenannten Feinde zu Freunden zu machen. Vereinigen wir uns mit ihnen zur gegenseitigen Beglückung der Völker, und wir hören auf, sie durch unser vergebliches Selbstsicherungsbestreben zu bedrohen. Dann haben wir Sicherheit und dauernden Frieden.