Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 2. Juni.

Die Kriegschronisten stellen fest, dass wir in die zweihundertste Kriegswoche getreten sind. Und in dieser zweihundertsten Woche steigt die Kampfwelle am höchsten. Die deutschen Heere nähern sich Paris wie in den Septembertagen 1914. Der Vorstoß zwischen Soissons und Reims hat zu einer Niederlage der französischen Heere geführt. Das wird immer deutlicher. Alle Freunde des deutschen Volkes und der Menschheit trauern über diese Siege, die niemandem etwas Gutes bringen werden, niemandem außer der deutschen Militärkaste und den deutschen Welteroberungsideologen. Die Demokratie wird vor Paris bekämpft; nicht nur die deutsche, die Weltdemokratie. Deshalb verhüllen alle wahrhaften Freunde des deutschen Volkes, alle, die auf eine Erlösung der Menschheit durch den demokratischen Gedanken hoffen angesichts des unaufhaltsamen Fortschreitens der Riesenmaschinerie der deutschen Generale, traurig ihr Haupt. Traurig, weil sie ihre Ideale blutend am Boden sehen, traurig, weil sie wissen, dass durch die größten Siege die demokratische Idee, die sich ja gar nicht auf die Grenzen eines einzigen Landes beschränkt, in der Welt noch nicht erschlagen ist, und blutig weiterkämpfen wird, so dass die Sehnsucht nach dem Frieden in dieser zweihundertsten Blutwoche noch keine Aussicht auf Erfüllung findet.