Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 18. Juli.

Nun ist es klar. Die große Berliner Krise, die am Anfang zu einigen Hoffnungen berechtigte, erweist sich bis jetzt als ein Sieg der alldeutsch-militaristischen Richtung. Der Sturz Bethmanns ist durch unterirdische Einflüsse erfolgt, und der neue Kanzler ist durch solche Einflüsse berufen worden. Ich habe gestern sein Porträt gesehen. Wie geschaffen für einen Berliner Polizeipräsidenten voraugustischer Prägung. Das ist kaum der Mann, die heutigen Weltzusammenhänge zu erfassen. Das bestätigen auch alle Schilderungen seiner Anhänger, die ihn kennen lernten. Echt preußischer Mann, Bureaukrat, strenggläubiger Protestant, und ahnungslos in der internationalen Politik.

Es ist noch sehr zweifelhaft, ob sich der neue Kanzler auf die Friedensresolution der Mehrheit festlegen wird. Schon heute wird in den nationalistischen Blättern abgeblasen und angedeutet, dass der neue Kanzler erst bei der Herbsttagung sein Programm ausführen werde. Man möchte anscheinend Zeit gewinnen, um die Mehrheit für den annexionslosen Frieden zu sprengen.

Auf einen baldigen Frieden weist die Krise keineswegs hin. Vielmehr auf eine erhöhte Anstrengung, dem Volk das Durchhalten in das vierte Jahr hinein plausibel zu machen. Und die Hoffnungen der Demokratie sind ihrer Erfüllung weiter denn je. Aber es ist ganz gut so. Je stärker der Druck der Reaktion, desto kraftvoller werden sich die Vorbedingungen der neuen Zeit erfüllen, und wir entgehen so der Gefahr, uns mit schwächlichen Kompromissen abfinden zu müssen.