Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 26. März.

Die vierte deutsche Kriegsanleihe schliesst — vorläufig — mit zehn Milliarden und 600 Millionen ab. Grosser Jubel im Reichstag und in der Presse. Ein Erfolg! Es gibt Leute, die renommieren, wenn sie sich zwölf Zähne auf einmal ausreissen lassen. — Ich hätte dem deutschen Volk gern einen andern Erfolg gegönnt. — Stürmische Szene im Reichstag als Haase (am 24. März) zum Not-Etat spricht. Es soll gegen die Verabredung in der Fraktion gewesen sein. Aber das war nicht allein der Grund der stürmischen Zurückweisung. Haase sprach nicht zur Sache, aber über das Wahnsinnige dieses Kriegs sprach er und über die unbedingte Notwendigkeit seiner Beendigung! Also nicht zur Sache. Als er sagte, «so wenig wir besiegt werden können, so wenig werden wir nach den bisherigen Erfahrungen die Gegner auf die Knie zwingen können, es wird weder Sieger noch Besiegte geben», da brach der Sturm los. Im deutschen Reichstag scheint eine Mehrheit an diese Wahrheit noch immer nicht zu glauben. Haase sagte weiter: «Europa geht der Verarmung entgegen. Was hat die Fortsetzung des Kriegs noch für einen Sinn». — «Es ist nicht zu übersehen, dass wir einen Frieden, der nur die Selbständigkeit aller Völker aufrechterhalten wollte, schon haben könnten». Hier verzeichnet das Stenogramm «Grosse Unruhe». Der Abg. Kreth nennt die Ausführungen Haases im Zwischenruf eine Hetzrede! Die Wahrheit wirkt immer verhetzend. Als dann Haase in einer persönlichen Bemerkung wieder die Wahrheit aussprach: «Das eine will ich Ihnen sagen, dass diejenigen die besten Patrioten sind, die nach zwanzig Monaten Krieg für die Verständigung der Völker und für die Beendigung dieses Kriegs eintreten», da ging der Lärm erst recht los. Und dennoch; er hat die Wahrheit gesprochen.

Warum aber der Lärm, warum die Entrüstung? Es wäre traurig, wenn diese der Wahrheit, diesen Worten gelten würden. Die Mehrheit der Lärmenden teilt wohl die Anschauungen Haases, sie findet es nur gefährlich, diese Anschauungen zu äussern. «Ihre Politik dient nur zur Verlängerung des Kriegs — sie dient dem feindlichen Ausland» rief dem Redner sein eigener Parteigenosse zu. Es ist dies der Gedankengang, der jeden Friedenswillen als Schwäche, die Friedensbereitschaft als Makel erscheinen lässt. Das ist ein viel gefährlicherer Gedankengang als der entgegengesetzte Haases. Die Äusserung der Friedensbereitschaft hat mit der Fähigkeit zur Fortsetzung des Kriegs durchaus nichts zu tun. Eine solche Äusserung kann nichts schaden, denn die Allüre der Kriegslust und unbedingten Kriegsentschlossenheit nach zwanzig Monaten des fürchterlichsten Kriegs ist durchsichtige Lüge. Man müsste der kriegerischen Grimasse viel eher glauben, wenn sie durch den sehnenden Blick nach Frieden gemildert ist, denn der gewaltsame Ausschluss jeder Friedensregung muss als Mache erkannt werden und viel eher die Glaubwürdigkeit des Unerbittlichen beeinträchtigen. Je mehr wir den Wunsch nach Frieden äussern, umsomehr stärken wir die vorhandenen Friedenskräfte bei den gegnerischen Völkern, stärken wir jene in ihrem Kampf mit den unerbittlichen Durchhaltern, ermöglichen wir also die Abkürzung des Kriegs, die Wiederkehr der Vernunft. Man hat es in Deutschland gern gesehen, als sich im englischen Parlament mutige Männer erhoben und dem Friedenswunsch Ausdruck gaben. Was uns bei den Courtneys, Loreburns, Snowdens und Trevelyans, bei den italienischen Sozialisten recht ist, muss uns bei Haase billig sein. Und seien wir uns darüber klar: nicht die Säbelrassler und Kriegsschreier, jene, die das Unheil des Kriegs über uns gebracht haben, werden uns davon wieder befreien, sondern nur jene, die trotz des Wutgeheuls der Unerbittlichen den Mut haben, vom Frieden zu reden. Sie sind, wie Haase richtig gesagt hat, «die besten Patrioten».

Wer die Stimmung der Völker in den kriegführenden Ländern kennt, ist sich bei der offenen Bekundung des Friedenswillens ihrer Zustimmung bewusst. Die Eintracht der Völker ist nach dieser Richtung bereits vorhanden. Gestern schrieb mir eine Engländerin (Miss W.): «Über Ihre ,Friedens-Warte’ haben wir uns immer sehr gefreut, und Gott sei Dank, gibt es in England Tausende von Menschen, die Ihre Anschauungen über die Notwendigkeit baldigen Friedens teilen». Und ebenfalls gestern besuchte mich eine französische Frau (Mlle X.) aus Paris, die zu jenen gehört, die mutig den Angriffen der Unerbittlichen trotzen, und, wie wir, mit aller Kraft und alle Gefahren verachtend für die Beendigung des Kriegs eintreten. Die Kundgebung des Willens zum Frieden ist daher das beste Mittel zur Abkürzung des Kriegs und ist die Pflicht aller Vaterlands- und Menschheitsfreunde.