Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 14. Juni.

Die «Gazette de Lausanne» (12. Juni) beschäftigt sich in einem Leitartikel, «Le pacifisme allemand» betitelt, mit der «Friedens-Warte». Sie lässt kein gutes Haar an ihr. Aus einer ihr vorliegenden Nummer zieht sie den Artikel von Lammasch hervor, den sie «macchiavellistisch» nennt und das «Manifest der französischen Frauen», das ihr apokryph erscheint. Sie zeiht mich direkt der Fälschung! (Wahrscheinlich, um mich zur Preisgabe meines Materials zu zwingen, um dann den ganzen Geifer auf die tapfern französischen Frauen ausgiessen zu können). Das Beste aber ist der Schluss: «Die Rücksichten, die die deutsche Regierung der Friedens-Warte erwiest, sind begreiflich.

. Veröffentlichte sie doch seit Kriegsbeginn Aufsätze, die über den unverdient schlechten Ruf der deutschen Armee und der deutschen Regierung seufzen (!), oder solche, die in der hier angedeuteten Weise verdächtig sind. Die ,Friedens-Warte' weiss, was sie tut und die Regierung auch, wenn sie erscheinen lässt».

Das heisst also: Die «Friedens-Warte» die seit langem in Deutschlandverboten ist - steht im Solde der deutschen Regierung. Was wird die «Kreuz-Zeitung» dazu sagen, die mich in letzter Zeit mit ihrer unausgesetzten Beachtung beehrt. In ihrer Nummer vom 3. Juni spricht sie in einem, natürlich anonymen, Artikel von «literarischen Hochverrätern», von in der Schweiz erscheinenden Zeitschriften, die sich gegen Vaterland, Armee und führende Männer vergehen. «Den Reigen dieser Pflanzstätten von Vaterlands- und Charakterlosigkeit eröffnet die ,Friedens-Warte’ Alfred Frieds ...» Und weiter in der Verleumdung fortfahrend, zerbricht sich der Korrespondent folgendermassen seinen Kopf:

«Es ist staunenswert, wie diese Blättchen überhaupt bestehen können. Da sie aber in der Schweiz selbst nur einen höchst beschränkten Absatz finden, die Grenzen Deutschlands und Österreich-Ungarns ihnen zumeist, und wir fügen bei glücklicherweise, verschlossen sind, so kann man sich über die Finanzierung der Machwerke allerlei Mutmassungen hingeben. Wenn man bedenkt, wie die Ententestaaten, voran England und Frankreich, keine Summe gespart haben, um die Presse in allen neutralen Ländern ihren Tendenzen dienstbar zu machen, so liegt es auch durchaus nicht ausserhalb des Bereichs der Möglichkeit, dass das Ententegold auch hier tätig ist» — — — Also, das heisst, die «Friedens-Warte»steht im Solde der Entente.

Man wäre versucht, zu zitieren: «Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt ...» Aber nein. Die «Friedens-Warte» «schwankt» nicht, sie steht fest, seit 18 Jahren treu ihren Grundsätzen. Nur die «Parteien» sind verwirrt und schwankend.

Der Lausanner Artikel bietet noch eine ganz amüsante Geschichte. Der Verfasser ist in gar arge Verlegenheit gekommen. Um ein Haar hätie ihn die Nemesis erreicht. Unmittelbar an den Artikel, dessen Schluss die oben zitierten Worte enthält von dem Wohlgefallen, das die deutsche Regierung an dem Blatt hat, und wie liebevoll sie es verbreitet, hatte ein anscheinend boshafter Metteur das Telegramm über den Protest der Münchener Philosophen gegen Professor Förster gesetzt. Der Leser wäre doch stutzig geworden, wenn er erfahren hätte, dass dieser Protest wegen eines Artikels erfolgte, der in der ihm als so übermässig loyal geschilderten «Friedens-Warte» veröffentlicht wurde. Das ist im letzten Moment auch dem Redakteur klar geworden. Was tat er? Er lässt rasch eine Zeile aus dem Telegramm herausnehmen. Wenn die Nachricht auch dadurch unverständlich wurde, tut nichts: die Tendenz des Artikels wird nicht erkannt. Und so berichtet die Depesche den Lausannern:

«Le professeur Dr. F. W. Förster a Cahier du 1er janvier 1916), paraissant à Zurich, sur Bismarck etc. ...»

So sieht das Kauderwelsch des verstümmelten Satzes aus. Die zweite Zeile, die erst den Sinn gäbe, fehlt. Nämlich: «publié un article dans la »Friedens-Warte’, (18eme année

Hier sieht man an einem stupenden Beispiel, wie eine Fälschung die andere nach sich zieht. Immerhin, die geliebte «Kreuz-Zeitung» könnte von den Lausannern noch etwas lernen! Aber zeigt diese Bekämpfung der «Friedens-Warte» nicht wiederum deutlich die seelische Einheit der Nationalisten in allen Ländern? Es ist vielleicht die einzige Internationale, die durch den Krieg nicht erschüttert wurde, die gelbe Internationale der «nationalen» Presse.