Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 13. Februar.

Nach alledem, was sich bis jetzt ereignet und entwickelt hat, nach dem völligen Obsiegen der militaristischen Psyche in Deutschland, flößt mir die neue Rede Wilsons im Senat, mit der er die Reden Hertlings und Czernins beantwortete, wenig Hoffnung ein. Sie ist so klar wie Quellwasser, ein so wunderbares Dokument logischen und modernen Denkens, dass sie uns in diesem faulenden, schwärenden Getümmel wie ein Ruf aus einer besseren Welt anmutet. Diese Sprache Wilsons wollen diejenigen nicht verstehen, die heute die Macht in Deutschland in den Händen haben. Vielleicht vermögen sie sie nicht zu verstehen. Und doch liegt bei Wilson der Friede und bei jenen Krieg, doch wird man sich durchbringen müssen zu der Weltanschauung Wilsons, wird man die Weltanschauung des herrschenden Preußengeistes überwinden müssen, wenn man aus diesem Krieg und ausdem auf Krieg begründeten Zustand der Welt herauskommen will.

Wie recht hat Wilson, wenn et der Friedensmethode des deutschen Reichskanzlers vorwirft, dass sie die Methode des Wiener Kongresses sei, wenn er dem Reichskanzler selbst seine Rückständigkeit den Erfordernissen der heutigen Welt gegenüber vorhält.

«Wir können und wir wollen nicht auf diese Methode (des Wiener Kongresses) zurückkommen. Heute steht der Friede der Wett auf dem Spiel. Wir wollen eine internationale Ordnung schaffen, die auf den Grundsätzen des Rechtes und der Gerechtigkeit aufgebaut ist, und nicht einen Frieden, der nur aus Teilen und Stücken besteht.

Ist es möglich, dass Graf Hertling diesen nicht sieht und begreift, und dass er wirklich in seinen Gedanken in einer verschwundenen Welt lebt? »

In diesem Satz Wilsons liegt die ganze Tragik unsrer Zeit liegt die Tragik dieses Kriegs und die Tragik des Pazifismus. Es gab und gibt eben noch zuviel Menschen, zuviel dominierende Menschen, die mit ihren Ideen «in einer verschwundenen Welt» lebten und leben.

Man sei sich klar darüber. Wilson trennt sich in entschiedener Weise von seinen Alliierten. Diese haben in den ersten Februartagen auf dem in Versailles versammelten Kriegsrat erklärt, dass sie die Reden der Grafen Hertling und Czernin nicht als eine Annäherung an die Bedingungen der Alliierten ansehen können, und dass sie es als Pflicht betrachten, «die Weiterdauer des Krieges mit äußerster Energie . . . sicherzustellen». Wilson stellt allgemeine Grundsätze für einen Frieden auf und meint, dieser Frieden könnte diskutiert werden. Er geht so weit, sich selbst zu desavouieren, und die in seiner vorhergehenden Botschaft aufgestellten 14 Thesen als diskutabel zu bezeichnen:

«Die Vereinigten Staaten sind ganz geneigt, zuzugeben, dass die von ihnen vorgeschlagenen Friedensgrundlagen nicht die besten oder dauerhaftesten sind. Sie bilden nur eine provisorische Formel in grundsätzlicher Beziehung und bereiten die Mittel vor, durch welche diese Grundsätzee zur Anwendung gelangen können.»

Wer nach diesen wiederholten Wilsonschen Vorschlägen, besonders nach dieser letzten Note, nach diesen, den Boden für eine Erörterung in so ehrlicher Weise ebnenden Worten, es noch über sich bringt, ein Massenmorden auszulösen, einen rein militärischen Sieg zu gewinnen, der lädt eine unerhörte Verantwortung auf sich, übernimmt vor der Gegenwart und der Nachwelt eine von Menschen kaum ertragbare Schuld, der begeht ein an Riesenhaftigkeit noch nie dagewesenes Verbrechen.