Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Thun, 14. September.

Fritz Mauthner ist sicherlich ein verdienstvoller Gelehrter, dessen Forschungen einen Stolz der deutschen Wissenschaft bilden. Er begibt sich aber oft auf Gebiete, wo er Laie ist. Im «Berliner Tageblatt» vom 12. d.M. eifert er gegen die wissenschaftlichen Weltkongresse. Teilweise hat er recht, wenn er den Wert gewisser Gelehrtenkongresse für die ernste Forschung bestreitet und das Banausentum rügt, das sich bei solchen Gelegenheiten breit macht. «Der geniale Forscher», sagt er, «liebt die Einsamkeit». Aber das heisst ja das Kind mit dem Bad ausgiessen. Die «Forschung» ist ja bei den internationalen Kongressen gar nicht die Hauptsache. Dass der «geniale Forscher» seine Einsamkeit für kurze Zeit aufgibt und den Zusammenhang mit der Welt sucht, dass sich mindergeniale Menschen von Zeit zu Zeit durch Augenschein überzeugen können, dass die jenseits der Grenze Lebenden nicht mit drei Augen zur Welt kommen und auf der Nase kein Horn angewachsen haben, ist auch etwas wert. Die Einsamkeit des Forschers ist sehr wichtig, aber wenn sie ihn dazu verleitet, zu behaupten, dass Kongresse höchstens dazu gut sind, «Richtlinien für eine Träumerei» zu ziehen, «wie für das Völkerrecht» (das sagt Mauthner), so wäre eine zeitweilige Unterbrechung dieser Einsamkeit doch sehr nützlich. Dann schreibt Mauthner im Hinblick auf die frühere Internationalität der Wissenschaft durch das Lateinische, das die internationale Gelehrtensprache war, folgendes: «Neuerliche Versuche, die wünschenswerte Verständigung der ganzen wissenschaftlichen Welt durch eine internationale Sprache, durch eine künstliche tote Sprache wieder herzustellen, sind nicht geglückt; man wird es einst zugunsten des grossen Krieges buchen, dass er den Sprachwundern der Volapükisten und ihrer Nachfolger ein unblutiges Ende bereitet hat.» — Das ist nun doch ein starkes Stück. Weiss dieser einsame Forscher vom Esperanto nichts mehr, das, trotz der vor Jahren von ihm versuchten Vernichtung, von Millionen Menschen zwischen Sibirien bis Peru verstanden wird und sich gerade durch den Krieg äusserst wichtig und lebensfähig erwies? «Nicht geglückt?» Es gibt keine bessere Lösung dieses Problems als die durch Zamenhof Erfindung gegebene, die auch dadurch nicht entwertet wird, wenn Herr Mauthner sie verschweigt und zur Glaubhaftmachung seiner Behauptung die Erinnerung an das wertlose Volapük wachruft. Durch diese Behauptung allein führt er seinen Artikel ad absurdum und bewies er, wie notwendig es wäre, wenn die «einsamen Forscher» auch Kongresse besuchen würden.