Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 16. September.

Die Regierung von Österreich-Ungarn hat an alle Regierungen — Freunde und Feinde — Kriegführende und Neutrale — eine umfangreiche Note gerichtet und darin die Regierungen der Kriegführenden zu einer unverbindlichen und vertraulichen Aussprache an einen Ort des neutralen Auslandes eingeladen.

Es soll keine Einladung zu Friedensverhandlungen sein, sondern nur zu einem freien Gedankenaustausch über die Möglichkeit von Friedensverhandlungen. Im Grunde genommen ist es dasselbe. Die Ausführlichkeit und der ruhige, fast versöhnliche Ton der Note darf über ihre Untauglichkeit als Instrument zur Herbeiführung des Friedens nicht hinwegtäuschen. Ich fürchte, sie ist eher dazu bestimmt, die notwendig erhöhte Erbitterung der Kriegführung bei den ermatteten Völkern der Zentral-286 mächte, namentlich der Völker Österreich-Ungarns vorzubereiten. Man braucht wieder die Empörung über ein abgelehntes Friedensangebot, um den zu Tod gepeinigten Völkern neue Anstrengungen zumuten zu können.

Ich fürchte, diesem neuen Friedensangebot wird die Antwort zuteil, die einst in frivol übermütigen Tagen Graf Berchtold auf die Grey’schen Vermittlungsvorschläge gegeben Von den Ereignissen überholt.

Die Note stellt die Unversehrtheit und Sicherheit der Gebiete der Zentralmächte als Grundlage der Verhandlungen dar und konzediert die Neuordnung der Welt nach den von Wilson geäußerten Grundsätzen. Sie begründet die Notwendigkeit von Verhandlungen mit dem Hinweis, daß eine Fortsetzung des Kriegs Europa ganz vernichten müsse, ohne dass eine Entscheidung durch die Waffen herbeigeführt werde. Sie fordert deshalb eine gemeinsame Aussprache, weil die bisherigen Äußerungen der verschiedenen Staatsmänner nur eine «Serie von Monologen» darstellt. Eigentlich könnten wir uns keinen großartigeren Sieg des Pazifismus wünschen als das Eingeständnis, dass die Gewalt keine Entscheidung bringt, sondern nur die Diskussion. Für die Anerkennung dieser Erkenntnis kämpften und litten wir.