Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Interlaken, 29. August.

Dem Reichstagsgebäude ist die Inschrift «dem deutschen Volk» verliehen worden. Soll das etwa die Belohnung für das grosse Blutopfer sein? Ich halte diese Auszeichnung für die denkbar grösste Ungeschicklichkeit der Regierung. — Der Reichstag begrüsste die Mitteilung darüber mit grossem Applaus. Soll diese «Auszeichnung» etwa den neuen liberalen Kurs andeuten? Liberal heisst, dass das Volk zur Regierung gelangt; die Bewilligung dieser Inschrift, die früher versagt wurde, zeigt nur, dass man kleine Geschenke zu machen bereit ist, aber nicht grosse Reformen bewilligen will. Gegen das liberalisierte Vereinsgesetz stimmten die Nationalliberalen und die Konservativen.

Bei der Erörterung über die Kriegsgebührenordnung im Reichstag meinte der Abgeordnete Müller-Meiningen, dass die Nicht-Regelung dieser Materie «ein klassisches Beispiel dafür ist, dass das deutsche Volk bis in die ersten Augusttage des Jahres 1914 an keinen Krieg geglaubt habe». Das braucht ja nicht erst bewiesen zu werden. Wird auch nirgends bestritten. Im übrigen ist diese Behauptung ungeschickt. Vorbereitungen für den Krieg wurden bisher immer als Schutzmassnahmen für den Frieden bezeichnet. Wenn jetzt die Unterlassung einer solchen Vorbereitung als Friedenszuversicht dargestellt wird, können unsere Gegner es leicht haben, die militär-technischen Vorbereitungen, die bis Kleinste ausgearbeitet und vorbereitet waren, als Kriegsabsicht auszunützen. Die Regelung der Kriegsgebühren erschien für die Kriegführung nicht so wichtig wie die Bereitschaft der Artillerie.