Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 26. Dezember.

Wenn man die Zeitungen heute noch als öffentliche Meinung ansieht, müsste man zugeben, dass Wilsons vernünftiger Schritt von der öffentlichen Meinung aller kriegführenden Länder abgelehnt wurde. Es ist als wäre der Menschheit das grösste Verbrechen zugemutet worden, wenn man in der deutschen wie in der französischen und englischen Presse die Entrüstung über den amerikanischen Vorschlag ausgedrückt findet. Niemals hätte diese Presse bei Beginn des Kriegs eine so übereinstimmende Haltung gegen das wirkliche Übel gezeigt, wie heute gegenüber dem Vorschlag, dem Übel ein Ende zu machen. Man müsste meinen, der Krieg ist das Gute, der Friede sei das Böse, das Unerträgliche, das Fluchwürdige. Die Erklärung dieses Widerspruchs finden wir in der Erkenntnis, von der wir uns jetzt keinen Augenblick loslösen dürfen, dass die Zeitungen nicht mehr der Ausdruck der öffentlichen Meinung sind, sondern lediglich ein von den Heeresleitungen und der Diplomatie benütztes Instrument zur Förderung ihrer besondern militärischen Zwecke.

Wir haben zwei Gruppen vor uns, die nach den furchtbarsten Opfern nicht in der Lage sind, den Frieden selbst bestimmen zu können, und die nicht hoffen dürfen, ihren Völkern etwas nach Hause zu bringen, das diesen der Opfer wert erschiene. Dass beide so tun, als ob sie den Frieden verabscheuten, dass beiden die Mahnung zur Kriegsbeendigung als ein Abschneiden ihrer Hoffnungen erscheinen muss, ist nur zu klar. Deshalb wird die Presse in Bewegung gesetzt, um den Friedensgedanken abzuwehren, dem Gegner die grimmige Miene des Entschlossenen zu zeigen und im eigenen Volk die Hoffnungen zu unterdrücken, die, erst geweckt, alle Kriegsentschlossenheit zermalmen müsste. Aber das Manöver nützt nichts mehr. Die Volksmassen sind nun einmal von dem Friedenshauch erfasst; ihr latenter Friedenswille ist aufgerüttelt worden und übt seine Wirkung aus, allen Pressegebärden zum Trotz. Die wirkliche öffentliche Meinung aller krieg-führenden Länder begrüsst die Intervention Wilsons und der Schweiz mit Jubel.