Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 29. März.

Die deutsche Presse fängt an, die Kriegsziele zu erörtern. Es sind vorwiegend imperialistische Stimmen, die laut werden. Vor allen Dingen wünscht man Belgien in irgend einer Form an Deutschland zu fesseln. Die «Kreuzzeitung» begründet dies so gar damit, dass die Situation Belgiens nicht mehr dieselbe sein kann wie vorher, da es jetzt offen zu Frankreich und England halten müsse. Das ist wahrscheinlich. Wir sehen also als Zukunft das Revanchebild, das wir vorher gesehen hatten, nur erweitert und vergrössert. Statt eines franco-deutschen Antagonismus einen Weltantagonismus gegen Deutschland. Auf solchen Grundlagen kann kein dauernder Friede beruhen. Man spricht in den imperialistischen Kreisen auffallend viel von «künftigen Auseinandersetzungen» mit England. Als ob man zugeben wollte, dass das imperialistische Ziel mit diesem Krieg nicht zu erreichen ist. Es ist eben überhaupt nicht durch den Krieg zu erreichen. Angenommen, das Kriegsziel unsrer Imperialisten wäre erreichbar, und Belgien würde dem Reich zugeschlagen werden. Dies wäre doch nur möglich nach einer völligen Niederlage der Alliierten und nach einem völligen Sieg der Zentralmächte. Jetzt, nach acht Monaten Krieg, ist aber keine dieser Aussichten berechtigt. Weder volle Niederwerfung der Alliierten noch voller Sieg der Zentralmächte. Der Krieg müsste demnach, wenn das imperialistische Kriegsziel erreicht werden soll, noch Jahre dauern. Auch von englischer Jingoseite werden ähnliche vage Friedensziele geäussert. Diese Ziele sind nicht erreichbar. Es ist ein jahrelanger Krieg auch nicht denkbar. Demnach gibt es nur zwei Möglichkeiten: Friede mit der Hoffnung auf einen neuen Krieg, oder: Friede mit den Ansätzen eines Staatensystems. Kurz: «Nicht-Krieg» oder wahrer Friede.