Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Thun, 5. August.

«Burgfrieden!» Die Geschichte und Psychologie dieser Einrichtung wird auch einmal geschrieben werden müssen. Mit besonderer Berücksichtigung dessen, was mit ihr beabsichtigt war und was aus ihr geworden ist. Das wird gleichzeitig ein Beitrag werden zu der Geschichte der menschlichen Institutionen. Noch nie wurde die pazifistische Bewegung, noch nie die Führer der Bewegung in ihrer Person so angegriffen, beleidigt, besudelt wie in dieser Zeit des «Burgfriedens», wo die sonderbaren Helden, denen unsere Arbeit ein Dorn im Auge ist, genau wissen, dass wir uns nicht wehren können.

Gestern, am Jahrestag des Burgfriedens, kam mir der nachstehend wiedergegebene Ausschnitt aus der «Deutschen Tageszeitung» (vom 24. Juli) in die Hände. Aus jenem Blatt also, in dem bekanntlich Graf Reventlow seit Jahren für das Verständnis Deutschlands in der Welt und für die Aufrechterhaltung des Friedens wirkt, mit jenem Erfolg, dass er und sein Blatt wohl mit am meisten für das jetzt vergossene Blut verantwortlich zu machen sind. Dieser Artikel heisst: «Versöhnlichkeit». Nach einer pathetischen Einleitung, worin dargetan wird, dass «wir den Feind bis aufs Weisse ausbluten lassen» müssen, statt sich versöhnlich zu zeigen, heisst es:

«Gleichwohl scheint das Geschlecht der Versöhnlichen in Deutschland, aller bösartigen Erfahrungen ungeachtet, unsterblich zu sein wie die Lernäische Hydra. Der Vergleich hinkt nur insofern, als dem Ungetüm nach jedem noch so wohlgezielten Hieb zwei neue Schafsköpfe nachwachsen. Dass damit nicht zu viel behauptet ist, bezeugt das Dasein der «Blätter für zwischenstaatliche Organisation», als welche jetzt die «Friedenswarte» statt in Berlin in Zürich erscheint. Der Herausgeber, der Friedensnobelpreisträger Dr. H. Fried, hat nämlich einen Klimawechsel vorgenommen und lässt für Druck und Verlag das Art. Institut Orell Füssli zeichnen. Als Grund der Ortsveränderung gibt Herr Fried «die oftmals gestörten, immer sehr langwierigen Postverbindungen zwischen Berlin und dem Aufenthaltsort des Herausgebers» an.

Das ist der wahre Grund nicht. Oder glaubt Herr Fried, er dürfe sich in Wien oder Berlin auf der Strasse sehen lassen, nachdem er über die Einnahme von Lemberg folgendes geschrieben hat:

,Die Freude ist begreiflich. Sie würde reiner sein, wenn man die offiziellen Übertreibungen unterlassen hätte. Es ist doch nur eine Wiedergewinnung, kein Gewinn. Es ist doch nur eine, unter ungeheuren Opfern erzielte Errungenschaft, die ohne Krieg nicht nötig gewesen wäre.’

Ferner! Herr Fried sagt von einem Aufsatz des Engländers G. Conrad Dickinson im ,Atlantic Monthly’: ,Der Krieg und die Befreiung von ihm’, er enthalte prächtige Äusserungen gegen den Krieg und zeuge von der objektiven Auffassung des Verfassers, der durchaus keinen Hass gegen Deutschland kenne. Wirklich? Wie beginnt denn die Wiedergabe dieses so gerühmten Aufsatzes? Also:

,Die deutschen Imperialisten haben es offenbar für der Mühe wert gehalten, Krieg mit uns zu führen, um Kolonien zu erwerben’.

Diese unerhörte Behauptung erregt also wegen ihrer Objektivität das Wohlgefallen dieses Fried. Darf dieser Mensch — er ist ein geborner Wiener — sich denn noch einen Deutschen nennen! Er spricht vom ,Wahnsinn des Luftkrieges’, von der ,Barbarisierung der Luft’, missbilligt die Vergeltungsmassregeln gegen englische Offiziere wegen der Behandlung unserer von den Engländern gefangenen U-Boot-Leute, und zieht aus der Bemerkung einer Mutter, ihr ältester Sohn sei einem amerikanischen Geschoss zum Opfer gefallen, folgenden Schluss:

,So ist es denn unseren Hetzaposteln glücklich gelungen, den blinden Hass, den sie gegen England entfacht haben, auch auf die Vereinigten Staaten zu übertragen’. —

Genug der Anführungen; sie liessen sich verzehnfachen. Ein so nichtsnutzig auf die Verdrehung der Tatsachen hinarbeitendes Blatt schiesst aus dem sicheren schweizerischen, d.h. neutralen Unterschlupf ungestört seine giftgetränkten Pfeile gegen Deutschland im Namen des Pazifismus. So sehen die Versöhnlichen und Versöhner aus, in deren Reihen der wütende Deutschenfeind, der französische Senator d’Estournelles de Constant, einst das grosse Wort führen durfte, bewundert und geehrt von deutschen Professoren und Politikern. Ob sie umlernen werden? Darüber wird man in kommenden Tagen ein Verhör anstellen müssen, aber es ist schwer anzunehmen, dass diese Versöhnlinge aus ihrer Haut heraus können. Wer draussen im Schlachtensturm sich bewährt hat, gleichviel welcher Partei er angehört, möge die Abrechnung vornehmen. In diesen Männern ist der alte Germanengeist aufgelebt, nachdem sie erfahren haben, wohin uns schliesslich die deutsche Nachgiebigkeit gebracht hat. Hass und Verachtung sind auf uns niedergewuchtet, unerhörte Blutopfer haben die Erde getränkt, und da macht sich Fried, ein ,Deutscher’, zum Sprachrohr unserer Feinde, drängt sich in eine Vermittlerrolle hinein und sucht den Anschein zu erwecken, als ob es in Deutschland eine ,Kriegspartei’ gegeben habe, die den Krieg gesucht habe. Allerdings, es gibt eine Kriegspartei, und sie heisst: das deutsche Volk. Weitab weist es von sich jeden Gedanken an Versöhnlichkeit. Wir haben schuldlos zu viel erdulden müssen. In der alten Edda wird Helge besungen. Als er nach Walhall kam, bot ihm Odin die Mitherrschaft über alles an. Da erblickte er seinen Feind Hunding und sprach: ,Du, Hunding, sollst allen Helden das Fussbad bereiten, Feuer anzünden, die Hunde anbinden, der Pferde warten, und den Schweinen Futter vorwerfen, eh’ du schlafen gehst’.

Das waren Helges Befehle an den verhassten Gegner. Selbst noch in Walhall fauler Friedseligkeit abgeneigt, beharrte er in seiner Unversöhnlichkeit. Das war altheidnischer Berserkertrotz, aber er stand dem natürlich zu Gesicht, der sich gegen eine Welt von Feinden behauptet hatte. Pazifistisch war er freilich nicht».

Nur eines hat dieser wutschnaubende Bursche vergessen: mit seinem Namen den Kübel Unrat zu zeichnen, den er feig aus dem Hinterhalt hervorspritzt.

Im übrigen ist der Artikel so konfus, dass sich schon aus diesem Grunde jede ernste Widerlegung erübrigt.

Die unter dem Schutze des «Burgfriedens» arbeitenden Verleumder und Dummköpfe haben jetzt gute Zeiten. — Es werden andere Zeiten kommen!