Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

28. August 1914.

Heute vor einem Jahr fand die feierliche Eröffnung des Haager Friedenspalastes statt. Es wird grosser Anstrengungen bedürfen, um diese Institution gegen die Anwürfe der unverständigen Massen in Schutz zu nehmen.

Eine neue Kriegserklärung! Ich glaube, die fünfzehnte in diesem Sommer unseres Missvergnügens. Die Kriegserklärung Österreichs an Belgien. Begründet ist diese späte Erklärung mit der Bundesgenossenschaft Belgiens mit Staaten, die mit Österreich-Ungarn im Kriegszustand sich befinden, aber auch mit der schlechten Behandlung österreichisch-ungarischer Staatsangehöriger durch die belgische Bevölkerung. Im allgemeinen sind derartige Anrempelungen im normalen Leben kein Grund zu einer Kriegserklärung. Aber in diesem Zustande der Anormalität, in dem wir jetzt leben, wird auch dieses hingenommen und für ganz selbstverständlich erachtet.

In Frankreich ist ein neues Ministerium ans Ruder gekommen, mit zwei aktiven Sozialisten, Sembat und Guesde. Guesde, ein altes Mitglied des Kommune und Sembat hat im Frühjahr ein denkwürdiges und viel beachtetes Buch herausgegeben, das sich gegen den Krieg ausspricht. Es heisst: «Faites un roi, si non faites la Paix». Ein merkwürdiges Buch, in dem der Verfasser die Republik zur Führung eines Krieges nicht für fähig hält. Zur Kriegführung gehört nach ihm ein monarchisches Oberhaupt. Er fordert darin die Beseitigung des Anstosses der elsas-lothringischen Frage, dadurch dass die Provinzen ein selbständiger deutscher Bundesstaat werden. Als Vorbedingung dieser Autonomie betrachtet er den endgültigen Verzicht Frankreichs auf die Revanche. Dann fordert er das Ende der Allianz mit England und eine Entente mit Deutschland. Er fordert das Ende der Alliance mit Russland, weil es keinerlei Sicherheit bietet. Frankreich solle dem Dreibund beitreten.

Dieser Mann ist heute Minister in Frankreich. Die Chancen eines Separatfriedens Deutschlands mit den Westmächten steigen.

Heute vor einem Monat wurde der Krieg Österreich-Ungarns an Serbien erklärt. — Heute vor zwei Monaten fand das Attentat in Sarajewo statt. Wie hat sich die Welt in diesem kurzen Zeitraum verändert!

Ich habe mich doch entschlossen, der Einladung Edwin Meads Folge zu leisten und fahre heute nach Leipzig, wo er sich bis zum 30. August aufhält.