Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 20. September.

Die englisch - französische Kriegsanleihe in Amerika ist ein Neutralitätsbruch. Die Auslegung des Staatssekretärs Lansing, sie sei eine private kaufmännische Transaktion, über die neutrale Regierungen keine Kontrolle auszuüben pflegen, ist unzutreffend. Da war die Erklärung Bryans vom vorigen Jahr (sieh meine Eintragung vom 17. September 1914) korrekter. Er verhinderte einen Anleiheversuch der Allierten mit dem Hinweis, dass Anleihen an eine kriegführende Macht mit dem wahren Geist der Neutralität nicht vereinbar seien.

Gestern mit O. zusammen gewesen. Interessanter, übergeistreicher Mensch. Voll von Plänen und sprühender Theorien. Vieldenker. Vom künftigen Frieden gesprochen. Diese Leute geben sich alle insofern einem Irrtum hin, als sie das Heil der Zukunft schon vom Friedensschluss erwarten, während ich es nur aus der Rückwirkung des Krieges nach dem Friedensschluss kommen sehe. Jene sind aber dafür verantwortlich, wenn der Krieg in die Länge gezogen wird. Da sie vom Friedensschluss alles erwarten, meinen sie, dass der Krieg so lange hingezogen werden müsse, bis jene Friedensziele erreicht sind. Das ist Unsinn. Niemals wird der Krieg das Friedensziel irgendwie einer Seite erreichbar machen. Es wird ein Kompromiss zustande kommen müssen, und je früher dies geschieht, umso vorteilhafter ist es für alle Teile. Und der Kompromiss kann wirklich für alle Teile vorteilhaft sein. Ich sehe die Zeit kommen, wo alle Beteiligten behaupten werden, Sieger zu sein, und ebenso jeder dem anderen Teil die Niederlage zuweisen wird, wie sie sich heute wechselseitig die Schuld zuschieben. Der Kulturgewinn des Krieges wird in der Stärkung der Demokratie liegen. Diese wird jedoch erst nach dessen Beendigung sich zu regen anfangen können, da sie während des Krieges unter dem Militärregime in allen Ländern gefesselt ist. Ist der Krieg vorbei, dann wird sie, die die blutigsten Schlachten der Geschichte geschlagen hat, ihr Lebens- und Herrschaftsrecht geltend machen. Dann wird die Möglichkeit gekommen sein, die Neugestaltung Europas durchzuführen, das Völkerverhältnis in neue Formen zu bringen und einen Zustand dauernder Gewaltausschliessung herbeizuführen. Je länger der Krieg währt, umso länger bleiben diese segensreichen Kräfte gehindert, die ihrer harrenden Aufgaben zu erfüllen. Die Alliierten, die in diesen Krieg mit der Absicht geschritten sind, den deutschen Militarismus zu brechen, werden endlich einsehen müssen, dass dieses Ziel erstens nicht mit der Bundesgenossenschaft Russlands erreicht werden kann, zweitens überhaupt nicht während eines Krieges, der naturgemäss den Militarismus noch stärkt, indem er ihn mit dem gesamten Volke verschmelzt und ihn zu einer Notwendigkeit erhebt.

Gegen den «Bund Neues Vaterland» soll nach einer Nachricht in der «Rheinisch-Westfälischen Zeitung» ein Verfahren wegen Hochverrat eingeleitet worden sein. Es ist hoffentlich auch bereits wieder eingestellt. Das wäre noch schöner, dass die Bestrebungen dieser Art als «Hochverrat» angesehen werden, während sie nichts anderes im Auge haben als den Schutz des Vaterlandes vor den gefährlichen Wahnideen solcher, denen der Krieg die klare Einsicht genommen hat. Dass man eine Untersuchung einleitet, nimmt mich nicht wunder. Lange genug haben Blätter wie die «Rheinisch-Westfälische Zeitung», «Deutsche Zeitung» und ähnliche gehetzt und geschürt gegen die Tätigkeit des «Bundes». Die Burgfrieden-Auffassung dieser Leute ist ganz besonderer Art.